Brussels Business oder Ein Flutlicht auf den Lobbymoloch

Dramatische Bilder, pompöse Musik, Brüssel aus Googlemapssicht oder per Limosine in grauen Straßenschluchten. Wenn man den Film gesehen hat, weiß man nicht mehr so genau, ob er schwarz-weiß oder bunt war. „The Brus$els Business“ macht Eindruck und bewirkt Kopfschütteln. Aber nicht immer da, wo es sich der Wiener Regisseur Friedrich Moser vielleicht wünscht. Ich konnte den Film gestern in einer Preview gleich in meiner Nachbarschaft sehen. Es geschah am 7. September 2012 im ACUDKino, das seltsamerweise so verwinkelt und hinterzimmerisch aufgebaut ist, dass es ideal zum dunklen Bild des Lobbying passt, allerdings in Berlin.

Wer schon einmal in Brüssel gelebt und gearbeitet hat, der erkennt vieles im Film wieder: unglaubliche Bauten, 4-spurige Einbahnstraßen, Anzugträger in ebenso pompösen wie unsympatischen Konferenzräumen und der obligatorische Regen auf grauem Stein. Aber der Ex-Brüsseler vermisst auch vieles: das multikulturelle vielfältige kreative europabegeisterte Brüssel, das die interessantesten Menschen in lebenswerten bunten Artdeco-Reihenhäusern zu bieten hat.

Aber darum geht es in dem Film nicht. Es geht um Lobbyismus in Brüssel und von dem hat man von vornherein das Bild, was im Film gezeigt wird. Dabei ist kaum etwas falsch. Die Politik ist Brüssel ist komplex, verwirrend und in einem ständigen Wandlungsprozess. Und es ist auch wahr, dass Lobbygruppen auf die Gesetzgebung massiv Einfluss nehmen oder vielmehr nahmen. Denn das meiste ist Zeitgeschichte. Die massive Einflussnahme des European Round Table auf die Etablierung des Binnenmarktes 1992 durch die Delors I-Kommission entzog (?) sich der Öffentlichkeit und ganz sicher fehlte die demokratische Kontrolle, Transparenz. Doch verschwiegen wird, dass mit der Einheitlichen Europäischen Akte, die 1985 den Binnenmarkt forderte, auch eine massive Demokratisierung der Europäischen Gemeinschaft begann. Das noch heute unterschätze Europäische Parlament wurde gestärkt, die Mehreitsentscheidungen im Rat ermöglichten neue Handlungsfelder in der Gesetzgebung, auch für Umwelt- oder Genderpolitik, das sog. „Spill-over“. Das noch immer unfertige Gebäude der Europäischen Union wurde mit dem Binnenmarkt demokratisch gestärkt.

Der Film verschweigt das und zeigt leider erst zum Schluss mit Recht, dass sich auch die Mechanismen in puncto Transparenz verbessert haben. Ob dies nur am „guten nordischen“ Esten Siim Kallas oder nicht an der gesamten Barroso I -Kommission und eben auch am Europäischen Parlament liegt, sei dahin gestellt. Und ohne Frage sind es zivilgesellschaftliche Initiativen, wie die von LobbyControl gewesen, die „nervig“ mit Aktivismus und Witz die Politik auf Spur brachten. Aber ist das nicht ein normaler politischer Prozess in einem Staatswesen, das stets auf unabhängige Aufklärung angewiesen ist? Ist zudem das „Ungleichgewicht der Einflussnahme“, das LobbyControl bekämpfen möchte, nicht nur eine Wahrnehmungsverzerrung, eine Angstbild, weil man es eben nicht so ganz versteht? Man stelle sich vor, Initativen wie der „European Round Table“ hätten sich nicht formiert, wäre die EU-Kommission dann auch auf große Infrastrukturplanungen gekommen, wäre sie gut informiert in Handelsabkommen gegangen? Und wer ist denn bitte ein Vertreter, der sich bei der Politik melden darf, wenn nicht der CEO eines Unternehmens von europäischen Rang?

Der Film macht dankenswerterweise klar, dass der Journalismus sich keineswegs für diese Zusammenhänge interessiert. Kein Wunder, dass es der Aufklärung durch Nichtregierungsorganisationen bedarf. Es schimmert durch, dass das vermeintliche demokratische Defizit der Europäischen Union am Versagen der Medien liegen könnte, die es versäumen, den Bürger auf europäisch-nationale Zusammenhänge hinzuweisen.

Da liegt eine große Stärke des Films. Er ist ein Hingucker für Zuschauer. Aber das intensive Ausleuchten von EU-Akteuren, die jenseits der EU-Gipfeltreffen in Brüssel wirken, ist auch seine Schwäche. Ausgedrückt durch die musikalische Untermalung des Films, ähnlich den Schauerfilmen wie „Das Omen“ ist die stumme Schlussfolgerung auch etwas naiv. Politiker treffen Entscheider, Entscheider suchen Vermittler zu Politikern. Wer hätt’s gedacht. Eine Kultur, die grenzüberschreitende Grossprojekte der Industrie oder der Politik auch an Kirchturmpolitik und am St.-Floriansprinzip scheitern lässt, braucht sich keine Demokratiedefizite vorwerfen lassen. Die ICE-Bahnhöfe Limburg und Montabaur passen sich „eindrucksvoll“ in transeuropäische Netze ein. Der wichtige Punkt der Transparenz geht durch solche Werturteile etwas verloren. Und: das viele Licht wird so sehr auf einzelne stereotype Aspekte konzentriert, dass man vergisst, dass mangelnde Transparenz kein Brüsseler, sondern ein generelles Problem ist.

Licht in das dunkle Brüssel bringen: Dieter Plehwe (LobbyControl), Ulrike Winkelmann (taz, Moderation), Friedrich Moser (blueandgreen) im AkudKino am 7. September 2012.

Und hier kommt die im Anschluss an die Preview gegebene Diskussion mit LobbyControler Dieter Plehwe und Friedrich Moser ins Spiel, erfrischend neutral moderiert von taz-Innenchefin Ulrike Winkelmann. Die Frage, ob die Transparenzregeln in Brüssel nicht doch stärker sind als die in Wien oder Berlin, wurde von Plehwe und Moser eindeutig bejaht. Macher Friedrich Moser wies deshalb darauf hin, dass der Film in einem Arte-Themenabend ausgestrahlt wird, eingebettet in eine allgemeine Darstellung von Lobbyismus. Ganz überzeugend ist das nicht, denn viele werden nur diesen Film sehen. Ich empfehle als Doppelpack den WDR-Film „Wir sind drin – Konzernlobbyisten im Zentrum der Macht“ . Das ist dann das bunte nationale Kontrastprogramm zum düsteren Brüsselbild, das  „The Brus$els Business“ bietet. Und ich würde mich freuen, wenn Moser ein Remake von „Wir sind drin“ drehen würde, in einem grauen düsteren kalten verschneiten Berlin, mit Fahrten durch die Leipziger Straße mit unsympatischen Kofferträgern im Plattenbau-Hilton. Das würde vielen Nichtdeutschen stereotyp gefallen.

Und überhaupt: macht Schluss mit dem ewig gestrigen Lobbybild. Unsere Gesellschaft ist viel zu vielfältig, dass sie nur Wirtschaftslobby die Macht überlässt. Anders als im Film erwähnt ist Lobbyismus nicht in Firstclasshotels entstanden, sondern in der Mutter aller Parlamente, in der barocken Lobby des britischen Parlamentes. Lobbyismus ist in der Demokratie explodiert. Bei Königs war er gar nicht nötig!

Dennoch: der Film macht mit Recht deutlich, dass die Kommission auf zuviel externe Expertise angewiesen ist. Was er nicht sagt: weil sie für ihre Arbeit zu wenig eigene Experten/Beamte einsetzen kann. Die Nettozahlerdebatte lässt grüßen.

Brüssel ist parlamentarischer und damit dezentraler geworden. Auch die NGO-Lobby nutzt die EU-Gesetzgebung für ihre Interessen, mit wenig Geld aber mit Fantasie und Kreativität. Beispiele aus dem Bundeswehrverband und der Bundeszentrale Verbraucherschutz habe ich einmal für die Universität Tartu in einem Artikel mit Thomas Traguth aufgeschrieben:  Europeanisation. The impact of Europe. What you see is what you do not get.

Man sollte „The Brus$els Business“ unbedingt sehen. Vor allem aber sollte man das löbliche angekündigte Angebot annehmen und kritisch im Internet dazu debattieren. Moser hat mich überzeugt, dass der Film nationalistischen österreichischen Populisten nicht gefällt. Aber das sollte selbstverständlich sein.

Der Film soll in naher Zukunft im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt werden (u.a. Arte).

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