Mein bedrückendes libanesisches Daumenkino…

Nein, ich kenne Beirut immer noch nicht richtig. Von Disney-Land- bis zu zerschossenen Gebäuden. Da gibt es einfach alles. Auch lange Bärte! Bärte, die ich nie erreichen werde. Ob atheistischer Hipster oder strenggläubiger Schiit… der Internationalinski fühlt sich wohl in dieser Mischung aus Coolness und „hey, das sieht gefährlich aus“… ich bin nicht frei davon. Soweit, so cool. Beirut halt.

Ich bin sehr froh, dass ich mich zunächst nicht auf die spannende libanesische Metropole konzentrierte, sondern gleich die Hälfte dieses Landes in 12 Tagen mit einem historisch-politischem Kopf durchqueren konnte. Friedrich Bokern zeigte mir das Land in einer ganzen Breite und Tiefe.  Es half mir, dass Fritz aus der gleichen katholisch-westfälischen Provinz „wechkommt“. Weltoffenheit zum Fremden mischte sich mit punktueller Erdung in der Tradition.

In 12 Tagen kann man die libanesische Welt nicht wirklich voll erfassen. Aber mit einigem Abstand kommen mir die Tage wie ein Daumenkino vor, dessen Blätter sich nur im Schnelldurchgang zusammenfügen. Über das alles beherrschende konfessionelle Gegen-, Neben- und Miteinander in der libanesischen Geschichte (auf Englisch) und die syrische Flüchtlingsproblematik im Distrikt Akkar habe ich schon ein wenig geschrieben. Heute soll es aber vor allem um die Erfahrungen eines Libanon-Reisenden gehen, um das Wort Tourist zu vermeiden.

Vorab etwas, was alle Tage zusammenhielt. „Bumper“ nannte es mein ansonsten äußerst gelehrter „Fahrer“ ein wenig englisch inkorrekt. Aber die Straßenhuckel dienen dazu, den völlig ungeregelten Verkehr zu maßregeln. Es gibt von den Buckeln so viele, dass sogar auf Zeit- oder Entfernungsangaben verzichtet werden kann. Man zählt einfach die Huckel. Nach 15 Huckeln ist man da… Da man sich gerade bei Stromausfall die Huckel besser merken sollte, vergibt man ihnen auch Namen: der „Army camp bumper“…

Das führt gleich zur anderen libanesischen Konstante. Der Stromausfall. 60 % des Stroms kommt nur aus Kraftwerken. 40% aus Generatoren. Es gibt zwar auch „wild cuts“ aber allgemein verläuft das Stromsparen im Libanon recht regelmäßig. Für Beirut gibt es Applications, die genau anzeigen, wann im welchen Viertel der Strom ausfällt. Wer das Geld hat, hat einen Generator, der sich im Fall der Fälle einschaltet. Das Ganze hat auch eine politische Dimension. Das Land ist zu 40% gegen israelische Luftangriffe gefeit, zumindest was die Stromversorgung angeht. Auf dem Lande finden sich übrigens gigantische Generatoren, die ein ganzes Dorf versorgen.

Ganz ohne Strom funktionieren dabei aber auch die Kontrollpunkte der libanesischen Armee. Sie sorgen nur am Anfang für ein mulmiges Gefühl. Irgendwann ist man dann froh, dass es diese Kontrollpunkte gibt. Oder vielleicht doch wieder nicht. Wo es Kontrollpunkte gibt, beginnt wieder ein neues Gebiet, mit neuen Herausforderungen.

Der 5. Januar war für mich der beeindruckendste Tag. Vom warmen Mittelmeer in Sidon (da wo die phönizische Europa von Zeus angeblich entführt wurde) bis zum ebenso antiken wie schiitischen Baalbek taten sich immer neue Welten auf. Christliche Dörfer im Sonnenschein neben Hisbollah-Trainingsland, das unglaubliche Drusenland, Schneesturm im Zedernwald und jesuitische Recyclingstelle auf dem Weg zur syrischen Grenze. Warum dachte ich nur so oft an den Herrn der Ringe?

Die Drusen leben hauptsächlich in den abruzzenähnlichen Libanon-Bergen des Chuf. Sie bilden derzeit das Zünglein an der Waage im konfessionellen Streit, aktuell auch um das unbesetzte Präsidentenamt. Die Drusen bilden eine abgeschottete aber einflussreiche Religionsgemeinschaft. Sie schaffen es, sich sowohl in Syrien, im Libanon als auch in Israel relativ neutral zu halten.

Der Nationalbaum des Libanon ist eindeutig die Zeder. Einst bedeckte er das ganze Land, fiel aber vor allem dem phönizischen und römischen Flottenbau zum Opfer. Im Chouf-Cedar Reservat halten sich noch viele beeindruckende Exemplare. Im Januar allerdings bizarr schön schneebedeckt.

Das sich anschließende Bekaa-Tal ist das Brasilien des Libanon. Während im nördlichen Akkar die Auswanderer-Familienbande nach Australien vorherrscht, wendet sich das Bekaa-Tal ganz konfessionsübergreifend nach Brasilien. Es soll sogar Dörfer geben, die portugiesisch sprechen.  Zwischen den üblichen oft nicht oder nur halb fertiggestellten Betonfamilienhäusern befindet sich zum Beispiel ein „Jesuitenreservat“ Deir Taanayel mit Streichelzoo, Recyclingplatz, Krippe und Kirche, Besucher aller Konfessionen eingeschlossen.

Im und um das 10.000 Jahre alte Baalbek herum herrscht heute die Hisbollah. Im Libanon-Krieg war es sogar das Hauptquartier. Besser keine Fotos machen. Das letzte Mal, dass ich ein ähnlich kontrolliertes Gefühl hatte, war in der DDR. Und selbst in der didaktisch sehr gut erschlossenen römischen Tempelanlage fühlt man sich an die 80er im damals realexistierenden Sozialismus erinnert. Es gibt kaum Touristen und es wird Propaganda verkauft. Römische Falschmünzen okay, aber gelbe Hisbollah-T-Shirts? Irritierend: gerade in diesem radikal-schiitischen Gebiet wird man als Enkel der antisemitischen deutschen Barbarei nett behandelt. Zudem war der Kaiser in Baalbek und ließ weiterbuddeln. Deutsche Firmen und Botschaft finanzierten massiv die sehenswerte Ausstellung. Hier besser nur noch Fotos machen. Derweil herrscht in den Bergen oben links der „Islamische Staat“.

Aber wieder zurück in den Rest der erstaunlichen Bekaa-Ebene.

Abends dann Besuch bei einer Großfamilie (alle Familien sind hier groß aus deutscher Sicht) eines reichen sunnitischen Grenzoffiziers in der Nähe von Mashaa, kurz bevor der Beirut-Damaskus Highway auf Syrien trifft. Beklemmendes Zonenrandgebiet. Hier herrscht der Schmuggel. Sogar mit einer Standleitung für Dieselöl nach Syrien.

In den auch hier mit „Anti-Libanon“ bezeichneten Bergen herrscht die Freie Syrische Armee.

Und dann ist da noch das armenische Dorf Anjar. 6 Flüchtlingsdörfer, die bei den ethnischen Säuberungen durch die Jungtürken hierher geflüchtet sind und systematisch angesiedelt wurden. Alteingesessene Flüchtlinge mit armenischen Straßenschildern. Ihre unglaubliche Vorgeschichte wurde von Franz Werfel in Die vierzig Tage des Musa Dagh beschrieben. Danke, Fritz, für den Literaturtip!

Apropos Flüchtlinge. Natürlich befinden sich zwischen all den bemerkenswerte Orten weitere Zeltstädte für syrische Flüchtlinge, größer und breiter noch als im Akkar, aber wohl in der Dichte weniger dramatisch als im nördlichen Distrikt. Der Flüchtlingssituation im Akkar gilt mein folgender Bericht.

Kontrastprogramm Bekaa. Schaurig schöner Ort.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert