EU-Lobbying in der Pandemie

Interessenvertretung vulgo Lobbying in der EU – mein Beitrag im Jahrbuch der Europäischen Integration 2021: Die Covid-19-Pandemie hat auch auf die intermediäre Einflussnahme von Politik und Gesetzgebung große Auswirkungen. Lobbyismus fand im Berichtzeitraum zu einem großen Teil nicht mehr vor Ort in Brüssel oder den Hauptstädten, sondern telefonisch/digital statt. Gleichzeitig vollzog sich der Legislativprozess außerhalb des üblichen Politikzyklus. Für Gesetzesinitiativen und langfristige Finanzpakete bestand kaum Raum für Konsultationsprozesse.

Dies betraf neben dem Mehrjährigen Finanzrahmen vor allem das Rekord-Wiederaufbauinstrument „Next Generation EU“.  Im Umfeld einer klimapolitischen und auch digitalen Dringlichkeit wären in „normalen Zeiten“ Lobbyaktivitäten sehr viel stärker sichtbar. Dies betrifft ebenso die Bedingungen für den Austritts des Vereinigten Königreiches aus der EU. Gerade wegen der Krisensituation war umso bemerkenswerter ein struktureller Fortschritt in der Governance des Rates der Europäischen Union.

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EU-Lobbyismus in Coronazeiten – Mein Jahrbuchbeitrag 2020

2020 wurde es unübersichtlich in der europäischen Lobbywelt. Selbstverständlich spielte auch hier die Pandemie eine große Rolle. Ohne Frage wurde auch die äußere Einflussnahme auf die europäische Gesetzgebung von der Jahrhundertaufgabe herausgefordert. Die nur langsam anlaufenden Initiativen der neuen Von-der-Leyen-Kommission wurden von Corona überschattet und endeten mit einem Megahaushalt ungekannten Ausmaßes während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, mit allen Konsequenzen für alle Arten von Gruppen mit Gemeinwohl- und/oder Eigeninteressen. Zudem ist ein Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich in Schnellverfahren abgeschlossen worden, fast ohne Einwirkungsmöglichkeiten der Parlamente und noch weniger von Lobbygruppen. In diesen Tagen erschien mein Artikel im „Jahrbuch der europäischen Integration“ auf Papier, diesmal unter dem neuen Titel „Interessenvertretung“. Redaktionsschluss war leider schon im Sommer 2020.

 

Das Mittelfeld der Europapolitik framen

Gemeinsam mit Elena Sandmann habe ich das Framing zu Zivilgesellschaft und Lobbyismus in der EU untersucht. Der Beitrag beleuchtet den Zusammenhang zwischen politischer Einflussnahme von Interessengruppen im EU-Gesetzgebungsprozess und pluralistischer Demokratie im europäischen Mehrebenensystem. Dabei geht er der Frage nach, ob (zivil-) gesellschaftliche Interessenvertretung analytisch vom (Wirtschafts-)Lobbyismus unterschieden werden sollte. Zentrale These ist, dass Interessenvertretung nur im Kontext größerer Transparenz aller beteiligten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, staatlichen, gesetzgeberischen und mittelbaren Akteure zu mehr Demokratie und Legitimation im Mehrebenensystem der EU beitragen kann. Read more

Was Europas Demokratie aus-macht…

Wie lässt sich erklären, dass die Demokratie in der Europäischen Union unter solch einem populistischen Druck steht? Was macht Europas Demokratie in Zukunft aus? Antworten fallen schon im normalen Leben nicht leicht. Aber die Hauptrede des Jahres vor Contheodorianer/inne/n meines Gymnasiums zu halten ist dann doch etwas ganz Besonderes. Es wurde ein Vortrag über die demokratische Relevanz Europas aus beruflicher und persönlicher Perspektive. Mein Fazit: seit meinem Abi90 hat sich die Gesellschaft schleichend entdemokratisiert, auch zum Schaden der europäischen Idee.

Mein Vortrag auf dem Theodorianerabend 2017 am Gymnasium Theodorianum in Paderborn

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Alles was EU-Recht ist… leider nicht immer nationale Politik

Auf Defizite hinweisen, aber Alarmismus vermeiden. Dies gilt vor allem für das größte Netzwerk für Europapolitik in Deutschland. Das jüngste EuGH-Urteil zur Dublin III-Verordnung ist europarechtlich zu begrüßen, politisch fordert aber die EBD schon seit langem, dass mehr Solidarität in Flüchtlings- und Asylfragen herrschen muss. Dublin III müsse abgeschafft werden, fordern die EBD-Mitgliedsorganisationen schon seit 2015.

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Für eine demokratische öffentliche Diplomatie

Es kommt so einiges zusammen dieser Tage. Populismus, Brexit, Nationalismus, Trump, Krise der Freien Welt, immer noch sterbende Flüchtlinge, immer noch Krieg in der Ukraine. Ein mehr als irritierendes EU-Beitrittskandidatenland taucht in der deutschen Öffentlichkeit auf und unter: die Türkei. Im Januar hielt ich auf Einladung der Türkiye Avrupa Birliği Derneği (Europäischen Bewegung Türkei) in Istanbul beim Unternehmerverband TÜSİAD eine Rede zum Populismus in der EU. Na wunderbar, dachte ich, ausgerechnet in der Türkei, in einem mehr als zerrissenem Land mit Notstandsgesetzen und Verfolgungen soll ich über den Anstieg von nationalistischem Populismus in der EU sprechen. Wahr ist, dass es einen europaweiten Trend der Einschränkung von Menschen- und Bürgerrechten gibt. Gleichzeitig gibt es europaweit große Probleme bei der Bekämpfung von Korruption.

Und seit den 80er Jahren gibt es einen fatalen Trend zur Vereinfachung und Effizienz, den sich Populisten und gut ausgebildete Technokraten teilen. Gemeinsam ist ihnen daher auch die Verachtung für langwierige Konsens-Demokratie, ob „Vereinsmeierei“ oder „Schwatzbude Parlament“. Pluralismus ist somit ganz oben auf der Liste der Verachtung von Populisten und Technokraten. Und die komplizierte EU mit jungen demokratischen Ansätzen wird ebenfalls ins Kreuzfeuer von Vertretern beider Denkmuster genommen.

Nun konnte ich in einem Artikel bei  Turkish Policy Quarterly meine ersten Thesen vom Januar in meinem Artikel „Tackling Populism in Europe with a new form of public diplomacy“ vertiefen.

Meine Hauptthese: wir müssen uns europaweit und auf allen Ebenen auf die Demokratie im Kleinen und Großen konzentrieren. Und die Diplomatie derjenigen Länder, die eine pluralistisch Demokratie vertreten, muss über Vernetzung und Förderung grenzüberschreitender demokratischer Vereine und Verbände alle Sphären der Demokratie stärken. Denn nur freie agierende Kräfte können einen demokratischen Wettbewerb mit möglichst vielen Akteuren gewährleisten, nicht allein der Staat. Insofern ist die globale Krise der Demokratie auch eine Krise der demokratischen Diplomatie. Eine „Democratic Public Diplomacy“ tut not!

Serbien hat an Reputation gewonnen – mein Interview bei Tanjug

In einem Interview mit der serbischen Nachrichtenagentur Tanjug betonte ich den langen Reformprozess, den ein EU-Beitritt voraussetze. Aber durch die Flüchtlingskrise habe Serbien sehr an Reputation gewonnen, insbesondere in Deutschland. Die konstruktive serbische Rolle zu Zeiten der Flüchtlingskrise habe sehr positiven Einfluss auf die Wahrnehmung des Beitrittskandidaten.

Auf die sehr serbische Frage, in welchem Maß die russischen Interessen im Beitrittsprozess Serbiens berücksichtigt werden sollten, bat ich darum, die Themen nicht zu vermischen. Serbien sei auf einem klaren europäischen Weg. Die Agenda der EU müsse nicht im erhöhten Maße auf die Interessen anderer Länder Rücksicht nehmen.

Das Interview bei Tanjug auf Englisch

Online-Bericht beim Kanal B92

Neuer Slogan für Phoenix: „Das ganze europäische Bild“

  • In der Außen- und Europapolitik bekommen wir nicht das ganze Bild. Mit fatalen Folgen.
  • Die Situation in den Flüchtlingslagern wurde viel zu lange verschwiegen
  • EU-Gipfeltreffen sonnen sich in falscher Aufmerksamkeit
  • Wir bekommen noch immer nicht vermittelt, wie die EU funktioniert, auch wo sie nicht handeln darf

Um die Welt zu erklären, müssen wir es uns einfach machen, ob es uns passt oder nicht. Kürzlich gab ich ein Interview, das zwei simple Anlässe hatte. Eine unglaublich große Flüchtlingsnot durch Krieg in Syrien und wieder einmal ein EU-Gipfel aus Brüssel. Tenor: die Flüchtlingsnot war einfach vorauszusehen, die EU-Gipfel werden einfach zu wichtig genommen.

Zunächst die Flüchtlingskrise. Sie erscheint überraschend neu. Wirklich? Nein. Jeder hätte um die Lage der Flüchtlinge wissen können, seit Jahren. Nur war die öffentliche Aufmerksamkeit kaum zu erregen. Verzweifelt wiesen Helfer in den Lagern auf die Zustände hin. Kaum Echo in Deutschland, weder in der Politik noch in den Medien. Zum Jahreswechsel hatte ich die Möglichkeit, den Libanon zu bereisen. Fritz Bokern von Relief & Reconciliation for Syria zeigte mir Flüchlingslager von Innen. Erste einfache Wahrheit: wahrscheinlich mittlerweile 2 Millionen Flüchtlinge im Libanon erhalten immer weniger Unterstützung. Zweite Wahrheit: kein Mensch hält es in solchen Lagern ewig aus. Das Resultat ist eine oft tödliche Flucht in den Norden.

Zu dieser „unglaublich“ überraschenden Situation gab es dann einen „EU-Flüchtlingsgipfel“ (eigentlich informeller Europäischer Rat). Scheinwerfer an: Mikrofone raus, am besten wenn die Staats- und Regierungschefs aus ihren Limousinen steigen.

Dabei wurde auf dem Gipfel eigentlich gar nichts Neues entschieden. Der „Europäische Rat“ entscheidet strenggenommen nie, schon gar nicht der „Informelle ER“. Er ist kein Gesetzgebungsorgan der EU. Schon vorab haben die beiden Gesetzgebungskammern Europäisches Parlament und Rat der EU mehrheitlich (!) für ein Quoten-System zur Verteilung der Flüchtlinge gestimmt. Dieses Mehrheitsverfahren war durchaus neu. Der EU-Vertrag hat den Staatskanzleien Europas gezeigt, dass bei der Innenpolitik eben doch nicht mehr das Einstimmigkeitsprinzip besteht und dass die EU-Kommission die Fäden in der Hand halten kann, natürlich in enger Abstimmung mit (Minister-)Rat und Parlament. Kompromissfähige Mehrheitsbeschaffung nennt man das.

Das Dumme ist nur: in Deutschland herrscht wacker die Meinung, dies medial kaum vermitteln zu können. Warum eigentlich, im komplizierten Land des Föderalismus und der kommunalen Selbstverwaltung? Vielleicht liegt es daran, dass dies von den Staatskanzleien so gewünscht wird. Immer noch möchte jeder Staats- und Regierungschef seiner Kamera seine Wahrheit sagen, seinen „Medien-Spin“ weben. So werden weiter 28 falsche Öffentlichkeiten gebildet. Ein deutsches Kabinettsmitglied des Präsidenten des Europäischen Rates brachte es mir gegenüber mal stolz auf den Punkt: „kein anderes EU-Organ schafft es auf Anhieb in die Tagesschau“. Das wird in Kanzleien ausgenutzt. Jeder Gipfel-Scheinwerfer wirft Schatten auf die Wahrheit.

[Leider gehört zur Wahrheit auch, dass die EU in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik so fast gar nichts entscheiden kann. Sie kann Syrien nicht helfen, solange selbst Malta hat ein Vetorecht hat…:

]

Zugegeben: bessere Entscheidungsmechanismen bringen natürlich nicht per se eine bessere Politik. Doch würde es sich lohnen, den demokratischen Wettstreit endlich so darzustellen, wie er ist. Das würde Vertrauen schaffen. Eine große Chance bot die  „Spitzenkandidaten-Diskussion“ um den Kandidaten Juncker. Ich habe sie im letzten Jahr hier ein wenig aufgebröselt. Im Kern ging es schon damals um eine neue EU-Demokratie. Denn der Europäische Rat darf nur in der Personalpolitik etwas entscheiden: den Vorschlag für einen Kommissionspräsidenten. Diese einzige Entscheidungsvollmacht des „EU-Gipfels“ ist sogar mehrheitlich möglich.

Dieser Mechanismus wurde genauso wenig beachtet, wie nun die Entscheidung zu den Flüchtlingsquoten. Die einstmals vom Kanzleramt propagierte „Unionsmethode“ wird zunehmend von der „Gemeinschaftsmethode“ des Parlaments und der Kommission eingeholt. Doch scheint es die Öffentlichkeit noch immer nicht verinnerlicht zu haben. Zwei besonders dreiste Versuche eines nationalen Medien-Spins: Englands Premier David Cameron leugnete 2014 bei der Entscheidung zum Spitzenkandidaten Mehrheitsentscheidungen genauso, wie nun sein slowakischer Kollege Robert Fico bei der Quoten-Frage.

Aber Deutschland ist das Bild leider nicht viel besser, trotz bester Qualitätsmedien. Der eigentlich fantastische Sender Phoenix hat einen tollen Slogan „Das ganze Bild“: Ein Bild, das leider an den Grenzen Deutschlands aufhört. Das Plenum des Europäischen Parlaments darf im ganzen Bild kaum vorkommen. Jüngstes Beispiel: die Rede zur Lage der EU von Kommissionspräsident Juncker in Straßburg wurde von keinem öffentlich-rechtlichem Rundfunk live übertragen (siehe: #SOTEU). Alles eh nur Elitensender? Mag sein. Aber wenn sich selbst die Eliten nicht „Das ganze europäische Bild“ machen…

#PublicDiplomacyEU statt diplomatischer Etatismus!

Europäische Integration durch vielfältige gesellschaftliche Kräfte. Deutschland braucht „strategischen Gestaltungswillen“. Die „Deutsche Führungsrolle“ soll „Europa revitalisieren“: Großes wird in diesem Review-Prozess von deutscher Außenpolitik in Europa erwartet. Und wahrlich, Krisen allerorten lassen erahnen, vor welchen Herausforderungen die deutsche Außenpolitik steht. Aber nur im Verbund mit Akteuren aus Gesellschaft und Wirtschaft kann die deutsche Diplomatie erfolgreich sein. Denn Deutschland ist schwarmintelligent und pluralistisch. Mein Beitrag in Review 2014 des Auswärtigen Amtes

Weitere Information zur European Public Diplomacy bei netzwerk-ebd.de

Mind the gap. Deutschland und Britannien trennt Demokratie in der EU

Alternative für Deutschland (AfD), die Partei, die bei der Europawahl 7% der Stimmen aus Deutschland erhielt und nun mit 7 Sitzen im Europäischen Parlament vertreten ist, hat sich den Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) angeschlossen. Wie konnte es dazu kommen? Hatte nicht der Premierminister Großbritanniens der deutschen Kanzlerin versprochen, ihren konservativen Konkurrenten nicht zu stärken? Die Mehrheit der Fraktionsmitglieder der EKR hatte gegen die Empfehlung des Parteivorsitzenden der britischen konservativen Partei, David Cameron, gestimmt. Wie sich nun herausstellt, befolgten selbst Mitglieder seiner eigenen Partei seine Anweisung nicht.

Was bedeutet das für Deutschland? Zunächst einmal nicht viel, so scheint es. Die deutschen Medien berichteten vage über die neuvereinigten Kräfte der europaskeptischen Parteien. Die deutschen Hauptnachrichten (Tagesschau/ heute) ließen diese Entwicklung ganz aus. Kein Vergleich zu den großen Schlagzeilen und der öffentlichen Empörung, die Camerons Widerstand und Merkels kurzes Zögern gegenüber Jean-Claude Junckers Kandidatur zum Kommissionspräsidenten auslösten. Das stellte für die deutschen Medien das eigentliche berichtenswerte Ereignis dar. Die deutschen Medien, Parteien und Interessenverbände überschneiden sich in ihrer Unterstützung des „Spitzenkandidaten“. 60% der Deutschen unterstützen die Idee, dass das Europäische Parlament den neuen Kommissionspräsidenten ernennen sollte. Nur 26% der Deutschen sind der Meinung, dass der Präsident von Staats- und Regierungschefs bestimmt werden sollte (Infratest-DIMAP/ARD). Großbritanniens politische Kommunikations- und Medienstrategie hat die pluralistische deutsche Gesellschaft und das demokratische Moment völlig unterschätzt.

Vor einigen Jahren hatte ich eine längere Unterhaltung mit einem Journalisten, der für den britischen Sender Channel4 arbeitete. Man hatte ihn in die deutsche Provinz entsandt, um dort Euroskeptiker und ablehnende Haltungen gegenüber Griechenland ausfindig zu machen. Nach vielen Versuchen, Mitglieder des „Männerchors“ zu interviewen, ein äußerst konservativer ländlicher Mikrokosmos, gab er auf und musste anerkennen, dass deutscher Pluralismus auch pro-europäische Haltungen hervorbringt. Ich verglich dies mit der Schwarmintelligenz von Vögeln und Fischen: die deutsche Gesellschaft ist nicht monolithisch, sodass es für die Medien schwieriger wird, die öffentliche Meinung zu bestimmen, als dies in Großbritannien der Fall sein mag. Die kollektive Intelligenz und Unabhängigkeit der Deutschen hält sie auch ohne  Leitlinien zusammen.

Vor einigen Monaten traf ich Vertreter der  britischen Regierung in London, denen ich erklärte, dass kleine und mittelständische deutsche Unternehmen, Sparkassen, Gewerkschaften und selbst die CDU als regierende Partei keine direkten Partner in Großbritannien mehr haben. Großbritannien hatte sich zu sehr auf Westminster fixiert und darüber Deutschlands politische Vielfalt aus dem Blick verloren. Das fehlende Verständnis ist offensichtlich. Die Deutschen sind wütend über das Herumschnüffeln der NSA und ihres britischen Partners, der Government Communication Headquarters (GCHQ). Doch es scheint, als hätte die GCHQ die falschen Informationen gesammelt und es so versäumt, die Stimmung in Deutschland richtig einzuschätzen. Hat niemand der Downing Street Bescheid gesagt? Seit der Finanzkrise sind die Deutschen weniger über die Brüsseler Bürokratie verärgert als vielmehr auf der Hut vor London. Die Europawahlen haben Deutschlands klares Bekenntnis zur Weiterentwicklung der europäischen Demokratie und Solidarität bestätigt. Das Gefühl drängt sich auf, dass Großbritannien dieses Engagement nicht teilt. Doch zurück zur AfD: diese neue euroskeptische Partei hat bei der Europawahl 2 Millionen Stimmen erhalten, genau das gleiche Ergebnis wie bei den Bundestagswahlen 2013. Auf Grund der geringeren Wahlbeteiligung bei der Europawahl fällt das prozentuale Ergebnis der AfD hier vergleichsweise höher aus. So muss die CDU sich nicht allzu große Sorgen um ihren Möchtegern-Konkurrenten machen: Größe, Reiz und Einfluss der AfD bleiben gering.

Gleichzeitig sind die Deutschen große Koalitionen gewöhnt, nicht nur auf Bundes- oder Länderebene. Die Kooperation zwischen der CDU/CSU und der SPD hat sich bemerkenswert reibungslos entwickelt, vor allem in der Europapolitik. Die Menschen scheinen zu verstehen, dass große Koalitionen zwischen den tragenden Parteien in der Lage sein müssen, in Krisenzeiten eine Führungsrolle einzunehmen und echte Lösungen anzubieten. So betrachtet scheint die neue euroskeptische Koalition aus AfD und Tories nicht weiter ins Gewicht zu fallen. Natürlich mögen die meisten Deutschen die britische Kultur und Rhetorik. Doch reicht das noch aus, wenn gleichzeitig viele eine Abneigung gegen Westminsters Haltung in Bezug auf  Finanzmarktpolitik, Spionage, der Freizügigkeit von Personen in der EU und Deutschlands Demokratieverständnis entwickeln? Merkel wird also die Ruhe bewahren und weitermachen, egal ob nun die Tories einen Partner in ihrer konkurrierenden Randpartei, der AfD, gefunden haben.

Die europäischen Sozialdemokraten und Christdemokraten wird das näher zusammenbringen. Juncker wird sowohl im Europäischen Parlament als auch im Europäischen Rat eine große Mehrheit für sich vereinen können. Die nordischen Länder sowie zentral- und osteuropäische Staaten werden nun stärker auf Deutschland als auf Großbritannien zählen. Deutschland hat den zweiten Weltkrieg weit genug hinter sich gelassen und die osteuropäischen Länder sind mehr als verärgert über Großbritanniens feindselige Einstellung gegenüber Einwanderern. Doch wie könnte Großbritanniens Zukunft in der EU aussehen? Vermutlich werden dem Land bescheidene, aber unmittelbare Zugeständnisse gemacht, um es in der Europäischen Union zu halten. Großbritannien wird bewundert, weil es pragmatisch ist. Es liegt nun an Großbritannien, sich die Vorzüge der EU zu Nutze zu machen. Und, liebe Boulevardpresse, hört auf, den Krieg zu erwähnen. Die Deutschen würden laut lachen.

Die Europäische Bewegung Deutschland ist 65 Jahre alt. Sie wurde am 13. Juni 1949 unter anderem von Duncan Sandys, Winston Churchills Schwiegersohn, gegründet.

Am 25. Juni wird der britische Europaminister bei der EBD-Exklusiv sprechen.

Published at the EuroBlog byEuropean Movement UK 13/06/2014