Hach! What a 🦋 butterfly feeling nach dem Tod von Twitter

Wie sagte noch Jerry Fish? „It takes balls to be a butterfly“! Aber der Schmetterling von Bluesky hat es geschafft. Über 10 Millionen Accounts sind eine klare Ansage an X. Dazu kommt: Bluesky ist das Revival von Twitter, so wie wir es einst kannten. Der trumpverliebte Narzisst Elon Musk hatte zuvor den Twitter-Vogel mit einem einfachen X getötet. Doch der Schmetterling von Bluesky lässt sich nicht so leicht ersticken. Bluesky ist dezentral wie Mastodon, aber dennoch professionell geführt. Das macht Mut.

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Was Europas Demokratie aus-macht…

Wie lässt sich erklären, dass die Demokratie in der Europäischen Union unter solch einem populistischen Druck steht? Was macht Europas Demokratie in Zukunft aus? Antworten fallen schon im normalen Leben nicht leicht. Aber die Hauptrede des Jahres vor Contheodorianer/inne/n meines Gymnasiums zu halten ist dann doch etwas ganz Besonderes. Es wurde ein Vortrag über die demokratische Relevanz Europas aus beruflicher und persönlicher Perspektive. Mein Fazit: seit meinem Abi90 hat sich die Gesellschaft schleichend entdemokratisiert, auch zum Schaden der europäischen Idee.

Mein Vortrag auf dem Theodorianerabend 2017 am Gymnasium Theodorianum in Paderborn

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Stellt euch den Marktschreiern! Raus aus den nationalen Klöstern!

Dieser Artikel erschien in den Europathemen des Deutschen Beamtenbundes im März 2017.

Da stehen wir nun vor einem riesigen Salat unterschiedlichster Meinungen, schwerverdaulicher Geschichten und dreister Lügen zwischen Krim, Brexit und nun auch noch dem Weißen Haus: Politik wird zu einer Kakophonie der Ängste. Dieser Artikel behandelt nicht die Ängste des „kleinen Mannes auf der Straße“ (es kann auch eine Frau sein!), sondern die Nachrichten und Meinungen, die ihn oder sie beeinflussen. Der öffentliche Diskurs geht in einer pluralistischen Gesellschaft zwischen Akteurinnen und Akteuren hin und her – auf vielfältigen Kanälen. 2017 ist das Reformationsjubiläum. Ob Martin Luther seine Thesen an die Wittenberger Schlosskirche buchstäblich angenagelt hat oder nicht: Sicher ist, dass Flugblätter und Druckerpressen eine enorme Rolle spielten in der Verbreitung reformatorischer Ideen. Manche sagen, die Reformation hätte ohne die Medienrevolution des Buchdrucks kaum eine Chance gehabt. Andere behaupten, die Rolle des Buchdrucks werde überschätzt, zumal doch die allermeisten Analphabeten waren. Es lohnt sich, die Zeitenwende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit mit der heutigen Kommunikationsrevolution zu vergleichen. Hangeln wir uns an diversen Medien entlang durch unterschiedliche Sphären. 

Wikipedia, die unbekannte Meinungsmacht

Vorweg die große Unbekannte der Sozialen Medien: Bei einer EBD-Veranstaltung zum Thema „Bildung 4.0“ habe ich als Moderator die Frage gestellt, wer Wikipedia nutzt: alle anwesenden Bildungsexperten passiv, viele sogar unzitiert als Quelle für ihre tägliche Arbeit. Aber nur drei Prozent der Anwesenden gaben an, je das größte Lexikon der Welt mit verbessert zu haben. Sozialwissenschaftler geben ihr Wissen offensichtlich ungern weiter. Trotzdem erreicht Wikipedia auch in der Europapolitik eine erstaunliche Qualität. Vor Jahren hat eine Gruppe von Trainees und Studierenden sämtliche europapolitischen Artikel in Wikipedia kategorisiert. Und Kategorisierung beeinflusst den Algorithmus von Google. Denn nur so weiß die Suchmaschine, dass ein MdEP zur EU und nicht zum Europarat gehört. Zum Lohn landet Wikipedia bei Google stets ganz vorn. Wirkmächtiges Wikipedia ohne offizielle Lehrmeinung: An deutschen Unis wird dieses „Making-of Wikipedia“ bis heute weder verstanden noch gelehrt. Sollen Novizen des 21. Jahrhunderts nicht erfahren, was oder wer eine Meinung außerhalb der Klostermauern bildet?

Twitter, zwischen PR und Netzwerken

Einmal fragte mich ein Lobbyist in Brüssel, der gerade aus der Spitze der deutschen Ständigen Vertretung bei der EU in die freie Wirtschaft gewechselt war, zu Twitter aus. Er war irritiert, dass außerhalb seiner bisherigen Erfahrungswelt so ungefiltert Wissen verbreitet werde. Viele Lobbyisten leben davon, Informationsmonopole aufzubrechen – ganz diskret. Und nun gibt es plötzlich Informationen transparent „für umme“. Und: Woher ich nur die Zeit hätte, all die Tweets zu lesen? Aber man liest Twitter nicht wie eine Sonntagszeitung. Im guten Sinne kann man Twitter mit einem gehaltvollen Gesprächsabend oder aber auch einer Hausparty mit spannenden Themen vergleichen, nur über den ganzen Tag in Dosen verteilt. Man folgt denen, die einem interessant erscheinen, um daraus zu lernen, über ideologische und sonstige Grenzen hinweg Zusammenhänge herzustellen, und um sie mit möglichst interessanten Tweets an sich selbst zu binden. Ja, eitel ist Twitter wie das echte Leben.

Die noch eitlere und „dunkle“ Seite von Twitter manifestiert sich gerade im US-Präsidenten. Mit Twitter erreicht Donald J. Trump ungefiltert den „kleinen Mann“ und verunsichert bewusst das Establishment, global. Umgekehrt brachte es jüngst der ehemalige schwedische Ministerpräsident Carl Bildt auf einen Aufmerksamkeitsrekord, als er auf Trump reagierte. Twitter ist kein Freund geschlossener Räume. Es stellt etablierte Medien und ihre Kunden in Frage, kann aber auch positiv gegensteuern oder gar Pressezensur umgehen. Despoten kämpfen gegen diese ungebremste Freiheit der Meinung, ob während der Arabellion oder seit Jahren in der Türkei.

Die Diplomatie fremdelte zunächst. Ende 2010 fragte ich den Planungschef des Auswärtigen Amtes, woher sein Haus „Intelligenz“ über Soziale Medien während der Arabellion bekäme. Seine Antwort war: „Wir vertrauen unseren Freunden im State Department.“ Die EBD war da schon seit einem Jahr mit dem Twitter-Account @NetzwerkEBD aktiv. Das Auswärtige Amt folgte 2011 schließlich doch einer Social Media-Strategie und gleich zu Beginn der EBD. Mit gut einer halben Million Follower hat das AA die EBD längst weit überflügelt, doch werden die Chancen einer echten „European Public Diplomacy“ noch zu wenig genutzt. Dabei wäre keine Berufsgruppe besser geschult, mit wenigen Worten das Richtige zu sagen, als Diplomaten. Obwohl weiter eine unbegründete Furcht vor Kontrollverlust zu herrschen scheint, gab es auch diesen Tweet zum Brexit: „Wir gehen jetzt in einen irischen Pub und betrinken uns. Ab morgen arbeiten wir dann wieder für ein besseres #Europa. Versprochen! #EUref“. Chapeau!

Facebook oder die elektronischen Filterblasen

Facebook ist für viele, die sich nicht mit dem offenen System Twitter anfreunden können, die erste Anlaufstelle. Wer sich als „Proeuropäer“ bei Facebook mit „seinen Freunden“ vernetzt, bekommt das positiv zu spüren. Über alle Grenzen hinweg bekomme ich ständig Anti-Brexit-Meinungen und proeuropäische Aufrufe wie neuerdings zu „Pulse of Europe“ oder von der Europa-Union. Dass es aber noch nationalistische, rechtsextreme Blasen gibt, hat jüngst der ZDF-Journalist Florian Neuhann gezeigt. Und diese Filterblasen interagieren kaum. Die Algorithmen dahinter werden politstrategisch genutzt. Erschreckend ist die These der totalen digitalen Manipulation hinter dem Wahlerfolg Trumps: Hier wird behauptet, dass es eine digitale „Bombe“ gebe. Aber auch schon abgeschwächte Darstellungen bieten Einblicke in die medialen Abgründe, etwa zum Brexit, wie der wohl beste EU-Blogger Jon Worth argumentiert.

Viele Blasen ergeben derweil einen Schaum

In Deutschland haben wir ein Luxusproblem. Die Qualität der öffentlichen und kommerziellen Medien ist so gut, dass sie sich erst sehr spät in die Social-Media-Welt eingemischt haben. Seit Jahren sammele ich in meiner Twitterliste „EU-Presse“ öffentlich alle europapolitischen Journalisten. Und die Posts dieser Liste lese ich wie eine Zeitung. Deutsche kommen erst jüngst hinzu und nur wenige gehen über bloße Eigen-PR hinaus. Der echte Diskurs ist bei klassischen Medienvertretern noch immer die Ausnahme. Die EBD sammelt übrigens deutschsprachige EU-Journalisten auf Twitter.

Deutsche Printpressespiegel sind enorm gehaltvoll, aber auch eine nationale Welt für sich. Das zeigt „Politico Europe“, 2015 vom US-amerikanischen Politico und der Springer AG gegründet, um die Übermacht der Londoner Financial Times, früher Leitmedium für EU-Beamte, zu brechen. Der deutschsprachige Onlinewecker „Morgen Europa“ von Florian Eder zeigt täglich zum Frühstück auf, dass Europapolitik keine von Korrespondenten kommentierte Außenpolitik, sondern gemeinsame Innenpolitik ist. Der europapolitische Diskurs in der doch provinziellen Bundeshauptstadt hat sich spürbar gebessert. Das hilft auch den klassischen Dialogangeboten wie den EBD De-Briefings.

Derweil tut sich in der deutschen Europawissenschaft herzlich wenig. Universitäten und Denkfabriken werden noch lange keinen Simon Hix von der Londoner LSE hervorbringen, der ganze Vorlesungen der Allgemeinheit zur Verfügung stellt und per Twitter interagiert. Phänomenal übrigens sein Lehrstück gleich nach dem Brexit-Votum.

Wie können Medien Breitenwirkung erzielen und gleichzeitig Qualität bewahren? Können „Monopolisten“ wie Diplomaten, Beamte, Korrespondenten und Wissenschaftler im guten demokratischen Sinne aktiv werden? Für die EBD ist für die demokratische Entwicklung Europas entscheidend, dass Medien gezielt für die europäische Integration genutzt werden. Grenzüberscheitende demokratische Kommunikation ist seit 1949 Satzungsauftrag. So arbeitet die Europäische Bewegung International (EMI) dezentral und pluralistisch daran, den Diskurs zu europäisieren. Für Kirchturmdenken sorgen schon die anderen.

Ach ja, und wer behauptet, dass der Buchdruck die Analphabeten damals nicht erreicht hatte, der hat ganz sicher die Marktschreier vergessen. Aber das ist eine andere Geschichte, die der Economist schön erzählt. Die heutigen Mönche sollten in der Verteidigung ihrer alten Welt vor allem nicht bloß angewidert Flugblätter (Tweets) verdammen, sondern sich selbst aktiv einbringen. Sonst werden die Klöster und ihr Qualitätswissen von Bauernstürmen hinweggefegt.

Bernd Hüttemann ist Generalsekretär der Europäischen Bewegung Deutschland e.V., schreibt hier aber vor allem als Twitterer @huettemann | @NetzwerkEBD.

Neuer Slogan für Phoenix: „Das ganze europäische Bild“

  • In der Außen- und Europapolitik bekommen wir nicht das ganze Bild. Mit fatalen Folgen.
  • Die Situation in den Flüchtlingslagern wurde viel zu lange verschwiegen
  • EU-Gipfeltreffen sonnen sich in falscher Aufmerksamkeit
  • Wir bekommen noch immer nicht vermittelt, wie die EU funktioniert, auch wo sie nicht handeln darf

Um die Welt zu erklären, müssen wir es uns einfach machen, ob es uns passt oder nicht. Kürzlich gab ich ein Interview, das zwei simple Anlässe hatte. Eine unglaublich große Flüchtlingsnot durch Krieg in Syrien und wieder einmal ein EU-Gipfel aus Brüssel. Tenor: die Flüchtlingsnot war einfach vorauszusehen, die EU-Gipfel werden einfach zu wichtig genommen.

Zunächst die Flüchtlingskrise. Sie erscheint überraschend neu. Wirklich? Nein. Jeder hätte um die Lage der Flüchtlinge wissen können, seit Jahren. Nur war die öffentliche Aufmerksamkeit kaum zu erregen. Verzweifelt wiesen Helfer in den Lagern auf die Zustände hin. Kaum Echo in Deutschland, weder in der Politik noch in den Medien. Zum Jahreswechsel hatte ich die Möglichkeit, den Libanon zu bereisen. Fritz Bokern von Relief & Reconciliation for Syria zeigte mir Flüchlingslager von Innen. Erste einfache Wahrheit: wahrscheinlich mittlerweile 2 Millionen Flüchtlinge im Libanon erhalten immer weniger Unterstützung. Zweite Wahrheit: kein Mensch hält es in solchen Lagern ewig aus. Das Resultat ist eine oft tödliche Flucht in den Norden.

Zu dieser „unglaublich“ überraschenden Situation gab es dann einen „EU-Flüchtlingsgipfel“ (eigentlich informeller Europäischer Rat). Scheinwerfer an: Mikrofone raus, am besten wenn die Staats- und Regierungschefs aus ihren Limousinen steigen.

Dabei wurde auf dem Gipfel eigentlich gar nichts Neues entschieden. Der „Europäische Rat“ entscheidet strenggenommen nie, schon gar nicht der „Informelle ER“. Er ist kein Gesetzgebungsorgan der EU. Schon vorab haben die beiden Gesetzgebungskammern Europäisches Parlament und Rat der EU mehrheitlich (!) für ein Quoten-System zur Verteilung der Flüchtlinge gestimmt. Dieses Mehrheitsverfahren war durchaus neu. Der EU-Vertrag hat den Staatskanzleien Europas gezeigt, dass bei der Innenpolitik eben doch nicht mehr das Einstimmigkeitsprinzip besteht und dass die EU-Kommission die Fäden in der Hand halten kann, natürlich in enger Abstimmung mit (Minister-)Rat und Parlament. Kompromissfähige Mehrheitsbeschaffung nennt man das.

Das Dumme ist nur: in Deutschland herrscht wacker die Meinung, dies medial kaum vermitteln zu können. Warum eigentlich, im komplizierten Land des Föderalismus und der kommunalen Selbstverwaltung? Vielleicht liegt es daran, dass dies von den Staatskanzleien so gewünscht wird. Immer noch möchte jeder Staats- und Regierungschef seiner Kamera seine Wahrheit sagen, seinen „Medien-Spin“ weben. So werden weiter 28 falsche Öffentlichkeiten gebildet. Ein deutsches Kabinettsmitglied des Präsidenten des Europäischen Rates brachte es mir gegenüber mal stolz auf den Punkt: „kein anderes EU-Organ schafft es auf Anhieb in die Tagesschau“. Das wird in Kanzleien ausgenutzt. Jeder Gipfel-Scheinwerfer wirft Schatten auf die Wahrheit.

[Leider gehört zur Wahrheit auch, dass die EU in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik so fast gar nichts entscheiden kann. Sie kann Syrien nicht helfen, solange selbst Malta hat ein Vetorecht hat…:

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Zugegeben: bessere Entscheidungsmechanismen bringen natürlich nicht per se eine bessere Politik. Doch würde es sich lohnen, den demokratischen Wettstreit endlich so darzustellen, wie er ist. Das würde Vertrauen schaffen. Eine große Chance bot die  „Spitzenkandidaten-Diskussion“ um den Kandidaten Juncker. Ich habe sie im letzten Jahr hier ein wenig aufgebröselt. Im Kern ging es schon damals um eine neue EU-Demokratie. Denn der Europäische Rat darf nur in der Personalpolitik etwas entscheiden: den Vorschlag für einen Kommissionspräsidenten. Diese einzige Entscheidungsvollmacht des „EU-Gipfels“ ist sogar mehrheitlich möglich.

Dieser Mechanismus wurde genauso wenig beachtet, wie nun die Entscheidung zu den Flüchtlingsquoten. Die einstmals vom Kanzleramt propagierte „Unionsmethode“ wird zunehmend von der „Gemeinschaftsmethode“ des Parlaments und der Kommission eingeholt. Doch scheint es die Öffentlichkeit noch immer nicht verinnerlicht zu haben. Zwei besonders dreiste Versuche eines nationalen Medien-Spins: Englands Premier David Cameron leugnete 2014 bei der Entscheidung zum Spitzenkandidaten Mehrheitsentscheidungen genauso, wie nun sein slowakischer Kollege Robert Fico bei der Quoten-Frage.

Aber Deutschland ist das Bild leider nicht viel besser, trotz bester Qualitätsmedien. Der eigentlich fantastische Sender Phoenix hat einen tollen Slogan „Das ganze Bild“: Ein Bild, das leider an den Grenzen Deutschlands aufhört. Das Plenum des Europäischen Parlaments darf im ganzen Bild kaum vorkommen. Jüngstes Beispiel: die Rede zur Lage der EU von Kommissionspräsident Juncker in Straßburg wurde von keinem öffentlich-rechtlichem Rundfunk live übertragen (siehe: #SOTEU). Alles eh nur Elitensender? Mag sein. Aber wenn sich selbst die Eliten nicht „Das ganze europäische Bild“ machen…

Mind the gap. Deutschland und Britannien trennt Demokratie in der EU

Alternative für Deutschland (AfD), die Partei, die bei der Europawahl 7% der Stimmen aus Deutschland erhielt und nun mit 7 Sitzen im Europäischen Parlament vertreten ist, hat sich den Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) angeschlossen. Wie konnte es dazu kommen? Hatte nicht der Premierminister Großbritanniens der deutschen Kanzlerin versprochen, ihren konservativen Konkurrenten nicht zu stärken? Die Mehrheit der Fraktionsmitglieder der EKR hatte gegen die Empfehlung des Parteivorsitzenden der britischen konservativen Partei, David Cameron, gestimmt. Wie sich nun herausstellt, befolgten selbst Mitglieder seiner eigenen Partei seine Anweisung nicht.

Was bedeutet das für Deutschland? Zunächst einmal nicht viel, so scheint es. Die deutschen Medien berichteten vage über die neuvereinigten Kräfte der europaskeptischen Parteien. Die deutschen Hauptnachrichten (Tagesschau/ heute) ließen diese Entwicklung ganz aus. Kein Vergleich zu den großen Schlagzeilen und der öffentlichen Empörung, die Camerons Widerstand und Merkels kurzes Zögern gegenüber Jean-Claude Junckers Kandidatur zum Kommissionspräsidenten auslösten. Das stellte für die deutschen Medien das eigentliche berichtenswerte Ereignis dar. Die deutschen Medien, Parteien und Interessenverbände überschneiden sich in ihrer Unterstützung des „Spitzenkandidaten“. 60% der Deutschen unterstützen die Idee, dass das Europäische Parlament den neuen Kommissionspräsidenten ernennen sollte. Nur 26% der Deutschen sind der Meinung, dass der Präsident von Staats- und Regierungschefs bestimmt werden sollte (Infratest-DIMAP/ARD). Großbritanniens politische Kommunikations- und Medienstrategie hat die pluralistische deutsche Gesellschaft und das demokratische Moment völlig unterschätzt.

Vor einigen Jahren hatte ich eine längere Unterhaltung mit einem Journalisten, der für den britischen Sender Channel4 arbeitete. Man hatte ihn in die deutsche Provinz entsandt, um dort Euroskeptiker und ablehnende Haltungen gegenüber Griechenland ausfindig zu machen. Nach vielen Versuchen, Mitglieder des „Männerchors“ zu interviewen, ein äußerst konservativer ländlicher Mikrokosmos, gab er auf und musste anerkennen, dass deutscher Pluralismus auch pro-europäische Haltungen hervorbringt. Ich verglich dies mit der Schwarmintelligenz von Vögeln und Fischen: die deutsche Gesellschaft ist nicht monolithisch, sodass es für die Medien schwieriger wird, die öffentliche Meinung zu bestimmen, als dies in Großbritannien der Fall sein mag. Die kollektive Intelligenz und Unabhängigkeit der Deutschen hält sie auch ohne  Leitlinien zusammen.

Vor einigen Monaten traf ich Vertreter der  britischen Regierung in London, denen ich erklärte, dass kleine und mittelständische deutsche Unternehmen, Sparkassen, Gewerkschaften und selbst die CDU als regierende Partei keine direkten Partner in Großbritannien mehr haben. Großbritannien hatte sich zu sehr auf Westminster fixiert und darüber Deutschlands politische Vielfalt aus dem Blick verloren. Das fehlende Verständnis ist offensichtlich. Die Deutschen sind wütend über das Herumschnüffeln der NSA und ihres britischen Partners, der Government Communication Headquarters (GCHQ). Doch es scheint, als hätte die GCHQ die falschen Informationen gesammelt und es so versäumt, die Stimmung in Deutschland richtig einzuschätzen. Hat niemand der Downing Street Bescheid gesagt? Seit der Finanzkrise sind die Deutschen weniger über die Brüsseler Bürokratie verärgert als vielmehr auf der Hut vor London. Die Europawahlen haben Deutschlands klares Bekenntnis zur Weiterentwicklung der europäischen Demokratie und Solidarität bestätigt. Das Gefühl drängt sich auf, dass Großbritannien dieses Engagement nicht teilt. Doch zurück zur AfD: diese neue euroskeptische Partei hat bei der Europawahl 2 Millionen Stimmen erhalten, genau das gleiche Ergebnis wie bei den Bundestagswahlen 2013. Auf Grund der geringeren Wahlbeteiligung bei der Europawahl fällt das prozentuale Ergebnis der AfD hier vergleichsweise höher aus. So muss die CDU sich nicht allzu große Sorgen um ihren Möchtegern-Konkurrenten machen: Größe, Reiz und Einfluss der AfD bleiben gering.

Gleichzeitig sind die Deutschen große Koalitionen gewöhnt, nicht nur auf Bundes- oder Länderebene. Die Kooperation zwischen der CDU/CSU und der SPD hat sich bemerkenswert reibungslos entwickelt, vor allem in der Europapolitik. Die Menschen scheinen zu verstehen, dass große Koalitionen zwischen den tragenden Parteien in der Lage sein müssen, in Krisenzeiten eine Führungsrolle einzunehmen und echte Lösungen anzubieten. So betrachtet scheint die neue euroskeptische Koalition aus AfD und Tories nicht weiter ins Gewicht zu fallen. Natürlich mögen die meisten Deutschen die britische Kultur und Rhetorik. Doch reicht das noch aus, wenn gleichzeitig viele eine Abneigung gegen Westminsters Haltung in Bezug auf  Finanzmarktpolitik, Spionage, der Freizügigkeit von Personen in der EU und Deutschlands Demokratieverständnis entwickeln? Merkel wird also die Ruhe bewahren und weitermachen, egal ob nun die Tories einen Partner in ihrer konkurrierenden Randpartei, der AfD, gefunden haben.

Die europäischen Sozialdemokraten und Christdemokraten wird das näher zusammenbringen. Juncker wird sowohl im Europäischen Parlament als auch im Europäischen Rat eine große Mehrheit für sich vereinen können. Die nordischen Länder sowie zentral- und osteuropäische Staaten werden nun stärker auf Deutschland als auf Großbritannien zählen. Deutschland hat den zweiten Weltkrieg weit genug hinter sich gelassen und die osteuropäischen Länder sind mehr als verärgert über Großbritanniens feindselige Einstellung gegenüber Einwanderern. Doch wie könnte Großbritanniens Zukunft in der EU aussehen? Vermutlich werden dem Land bescheidene, aber unmittelbare Zugeständnisse gemacht, um es in der Europäischen Union zu halten. Großbritannien wird bewundert, weil es pragmatisch ist. Es liegt nun an Großbritannien, sich die Vorzüge der EU zu Nutze zu machen. Und, liebe Boulevardpresse, hört auf, den Krieg zu erwähnen. Die Deutschen würden laut lachen.

Die Europäische Bewegung Deutschland ist 65 Jahre alt. Sie wurde am 13. Juni 1949 unter anderem von Duncan Sandys, Winston Churchills Schwiegersohn, gegründet.

Am 25. Juni wird der britische Europaminister bei der EBD-Exklusiv sprechen.

Published at the EuroBlog byEuropean Movement UK 13/06/2014

Dalli Dalli! Sie sind der Meinung das war… Spitze!

„In Brüssel ist alles schlecht, lauter Abzocker und da haben ja sowieso nur die Reichen etwas zu sagen“. So oder so ähnlich klingt es, wenn es in meiner Heimatstadt am Stammtisch um die EU geht. Vor allem wenn einer der Urschwabe  sich nach seinem dritten Bier wieder einmal über den verfluchten Lobbyismus pikiert. „Was ist denn das für eine Demokratie? Im Endeffekt haben wir doch gar nichts zu sagen, wenn sowieso nur die geldgeilen Lobbyisten die Gesetze bestimmen“. Dieser Vorwurf ist Gang und Gebe in der Bevölkerung und auch zu gewissen Teilen nachvollziehbar.

Schon wieder ist ein Fall aufgetreten, bei dem die Bevölkerung und damit deren gewählten Vertreter anscheinend gar nichts zu sagen hatten. Lobbycontrol nennt diesen Fall schon den größten Lobbyskandal der EU-Geschichte. Wieder einmal soll die Lobby Gesetze entscheidend beeinflusst haben und dieses Mal soll es sogar einem Kommissar den Job gekostet haben. Hinzu kommt, dass es sich hierbei nicht um eine normale Lobby handelt. Es ist die allzu böse und in der Bevölkerung, selbst unter Rauchern, verhasste Tabaklobby. Wenn es eine negative Konnotation mit dem Wort Lobbyismus gibt, dann ist die Tabaklobby wohl die Spitze des Eisbergs, das Schlimmste vom Schlimmsten, das personifizierte Böse. Die Tabaklobby sei rein auf Profit aus und sträubt sich, jeder Menschlichkeit widerstrebend, gegen Reglementierung des hiesigen Tabakmarktes. In einer etwas abgeschwächten Form, aber ähnlich, lassen sich solche Vorwürfe auch bei Spiegel Online oder auf der Internetseite von Lobbycontrol nachlesen. Doch was ist wahr an solchen Vorwürfen und inwieweit ist überhaupt die Tabaklobby ins Spiel zu bringen, bezüglich des Skandals um Ex-Gesundheitskommissar John Dalli?

Der maltesische Politiker spielt gleichzeitig Haupt- und Nebendarsteller in diesem Drama, was die Sache nicht unbedingt vereinfacht. Im Grunde bietet dieser Polit-Krimi alles, was ein gutes Drama braucht. Den Aufstieg des Helden, in diesem Fall John Dalli’s, und natürlich einen rasanten, tiefen Fall. Rücksichtslosigkeit und Habgier sowie Egoismus als Selbstschutz spielen ebenso eine tragende Rolle. Die Darstellung des Konflikts divergiert stark zwischen der Darstellung der Kritikerseite Lobbycontrol sowie verschiedenen Kritikern im Europäischen Parlament und der Darstellung des Kontrollorgans Olaf der Europäischen Union. Lobbycontrol ist im Zuge des erweiterten Lobbyismus als Lobbyismuskritiker im Hinblick auf unrechtsmäßige Interessensbeeinflussung in Brüssel gegründet worden. Nach einem Skandal im Jahre 1999, bei dem ein EU-Abgeordneter monetär beeinflusst worden ist, wurde die eigene Kontrollinstanz der EU Olaf gegründet. Die Behörde soll Korruptionsvorwürfe und Betrugsfälle aufklären. Die Affäre Dallli ist für Olaf mit ihren Ermittlungen abgeschlossen. Der Chef dieses Dienstes, Giovanni Kessler spricht von einem „erfolgreichem Abschluss der Ermittlungen“ und betont, dass „die politischen Schlüsse richtig gezogen worden sind.“ (Kuhrt, Nicola: Interview mit Giovanni Kessler, Feb. 14) Dem  hingegen betont Lobbycontrol, dass mit Michel Petite, ein ehemaliger Generalsekretär, der nun den Tabakkonzern Philip Morris juristisch vertritt, eine Person involviert ist, die vorerst keine direkten Konsequenzen durch den Konflikt erleiden musste. Genauso argumentiert Lobbycontrol bei der Politikerin Catherine Day, Generalsekretärin der EU-Kommission, die in die Affäre verwickelt ist und aus deren handeln keine Konsequenzen gezogen wurden. Dalli selbst sagt, dass er unschuldig und der Verbindung von Tabaklobby und EU-Kommission zum Opfer gefallen sei. Im Folgenden soll diese Behauptung überprüft werden. Ist John Dalli der Leidtragende seiner strengen Tabakrichtlinien und dem dadurch entstanden Druck durch die Tabaklobby auf die EU-Kommission? Am Ende soll geprüft werden, inwieweit Konsequenzen aus der Dalli-Gate-Affäre zu ziehen sind, personell, wie auch auf das gesamte EU-Lobbying bezogen. Doch um das Gewirr etwas zu entschärfen, nun die Frage: was war eigentlich passiert?

Der Aufstieg des John Dalli

Im Februar 2010 wurde der maltesische Politiker John Dalli Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz in Brüssel. Der zuvor vor Allem bei der maltesischen Regierung arbeitende Dalli bot zum Anfang seiner Amtszeit aus deutscher Sicht viel Konfliktpotential. Er wollte die Lockerung der Regulierungen für Genkartoffeln in der EU erreichen, was in Deutschland in starke Proteste mündete. Der durch das geplante Freihandelsabkommen mit den USA wieder aufkommende Konflikt hatte damals schon seine Ursprünge. Doch eben dieser Kommissar sollte eine entscheidende Wendung für seinen Fall vollbringen. Im Winter 2011/12 arbeitete Dalli schon seit anderthalb Jahren an einer Tabakrichtlinie für Europa. Diese sollte strenger als je zuvor sein und den Tabakmarkt stark regulieren. Durch diese Regelungen sollte die Nikotin-Industrie, die für die EU finanziell wichtig ist, in seinen Grenzen gehalten werden. Denn immerhin kommen auf die Krankenkassen jedes Jahr immense Kosten durch Krankheiten, ausgelöst durch Zigarettenkonsum, zu. Diese Zahlen als Gesundheitskommissar zu verringern, war für ihn ein Ziel. Konkret arbeitete er an Vorschlägen, die die offene Zurschaustellung der Zigaretten in Geschäften verbieten sollten. Zum Leidwesen des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt sollten Geschmacksstoffe, die den Tabakgeschmack überlagern, verboten werden. Ein Beispiel hierfür ist die Menthol-Zigarette, aber auch Vanillezigaretten, die vor allem unter Jugendlichen auf große Beliebtheit stoßen. Sogar von „Plain Packaging“ war die Rede. Das bedeutet eine Verpackung, die nicht mehr mit der Marke versehen ist, sondern nur noch Warnbilder wie schwarze Lungen darstellt. Der Produktname dürfte dann gar nicht mehr oder nur noch ganz klein auf der Packung zu sehen sein. Diese Regelungen gibt es schon in anderen Ländern wie zum Beispiel Australien. Die geplanten Tabakrichtlinien sind in den Augen Dallis von Nöten gewesen. Jedoch musste er viel Gegenwind ertragen. Nicht nur aus den Kreisen der Tabakmultis, d.h. der größten Tabakkonzerne, sondern auch von hohen EU-Würdenträgern musste er harsche Kritik einstecken. Auf Seiten der Tabakkonzerne ist dieses Verhalten sehr leicht nachzuvollziehen. Durch stärkere Reglementierungen können sie weniger Umsatz erwirtschaften. Im Klartext heißt das, dass dem Tabakmarkt durch solch eine Reform ein herber Schlag verabreicht würde. Auf der Seite der Gegner innerhalb der EU-Verantwortlichen ist die Affäre etwas komplizierter. Hierzu müssen alte Vereinbarungen beachtet werden die für Aufklärung sorgen. Im Jahr 2004 schloss die EU ein Kooperationsabkommen mit vielen Tabakmultis, unter Anderem „Philip Morris International“ und „British American Tobacco“. Durch diese Verträge ist die EU stark mit der Tabaklobby verwoben und folglich auch von Zahlungen aus diesen Kreisen abhängig. Durch Regulierungen würde die Wirtschaftlichkeit der Tabakunternehmen schrumpfen und damit einhergehend die Zahlungen an die EU verringern. Um solche finanziellen Einbußen zu vermeiden, wurde gegen Dalli und seine Tabakproduktrichtlinien Front gemacht. Doch Dalli ließ sich in der Notwendigkeit und auch in der Schärfe dieser Richtlinien nicht beirren und hielt an seinem Kurs fest.

Der Fall

Der schwedische Tabakhersteller „Swedish Match“ spielt in der Affäre eine zentrale Rolle. Das Hauptprodukt, das Swedish Match vertreibt, ist eine Tabakform genannt „Snus“, das mit einem Kautabak vergleichbar ist. Man steckt sich den Tabak unter die Oberlippe und dieser entfaltet sein Aroma über die Schleimhäute im Mund, Nikotin gelangt dann nicht durch die Lunge, sondern durch die Schleimhäute im Mund in die Blutkreislaufbahn. Bis dato war der Verkauf von Snus nur in Schweden als Kulturgut erlaubt. In den restlichen Ländern war Swedish Match der Verkauf von Snus verboten. Um diese Gesetze zu ändern, versuchte Swedish Match den Ex-Gesundheitskommissar Dalli zu beeinflussen. Ihre Lobbyarbeit fand aber nicht wie gewöhnlich in Brüssel statt, sondern sie versuchten auf der lokalen Schiene an John Dalli heranzukommen. Ihr Ziel war die Liberalisierung des Tabakmarktes für Snus, damit ihr Produkt europaweit vertrieben werden kann. Swedish Match kontaktierte persönliche Bekannte von Dalli wie Silvio Zammit, einen Parteigenossen Dalli’s, sowie eine beurlaubte EU-Mitarbeiterin Gayle Kimberley. Kimberley willigte ein, die Interessen des Tabakkonzerns zu vertreten und arrangierte ein Treffen von Swedish Match Manager Gabriellson, Zammit und Dalli. Hierbei soll Dalli das europaweite Verbot von Snus als absurd bezeichnet haben, aber eine Aufhebung würde für ihn das Ende seiner Karriere bedeuten. Bei einem zweiten Treffen, das nie stattfand und nur von Kimberley erfunden war, soll Zammit im Auftrag von Dalli 60 Millionen € Schmiergeld für die Genehmigung des europaweiten Vertriebes von Snus gefordert haben. Dieses erfundene Treffen soll am 13. Februar 2012 stattgefunden haben. In Folge dessen lehnte Swedish Match das Angebot ab und informierte zuerst die schwedische Regierung am 24. Februar. Am 21. Mai ging eine offizielle Beschwerde bei der Kommission ein. Nun kam OLAF ins Spiel. Zuerst wurde Kimberley von OLAF verhört und gestand, dass das zweite Treffen der Parteien nur erfunden wäre. Im Juli wurde Dalli dann von OLAF über die Vorwürfe informiert, bestritt aber jedwede Beteiligung an der Schmiergeldforderung. Zur Aufklärung dieser Vorfälle setzte die Betrugsbehörde fragwürdige Vernehmungsmethoden ein. Zum Beispiel wurde Gayle Kimberley nach ihrer Vernehmung auf Malta vom OLAF-Präsidenten und gleichzeitig Chefermittler Giovanni Kessler zum Essen eingeladen. So etwas würde nicht einmal bei besagten dörflichen Rahmen der schwäbischen Einöde vorkommen, dass der Chefermittler nach dem Verhör mit der Angeklagten einen guten Wein genießt. Hinzu kommt, dass er auch noch für das Essen bezahlt hat. Ob hierbei noch zwischen privatem Gespräch und professionellem Verhör unterschieden werden kann, ist fragwürdig. Die Vorwürfe gingen sogar so weit, dass OLAF bei ihren Vernehmungen die Menschenrechte verletzt haben soll. Die Persönlichkeitsrechte von John Dalli sind durch die Beschlagnahmung seines Computers missachtet worden. Am 15. Oktober sandte die Betrugsbehörde dann den fertigen Untersuchungsbericht an den Kommissionschef Barroso. Giovanni Kessler sagte, es gäbe „eine Anzahl von unzweideutigen Indizienstücken“, die die Schuld Dalli’s belegen. (Kuhrt, Nicola: Interview mit Giovanni Kessler, Feb 14) Barroso zitierte Dalli im Folgenden in sein Büro und zwang ihn mehr oder weniger zu seinem Rücktritt. Dalli war zwar immer noch von seiner Unschuld überzeugt, trat aber aus der Motivation heraus, den Ruf der Kommission zu schützen, zurück. Nach seinem Rücktritt übergab Olaf den Fall an die maltesischen Gerichte, die Zammit und Dalli anklagten. Bis zum heutigen Tag konnte Dalli nichts nachgewiesen werden. In solchen Fällen gilt die Unschuldsvermutung. Von den unzweideutigen Indizien, die Dalli’s Schuld in der Schmiergeldaffäre beweisen sollten, ist nichts zu entdecken. Doch was ist nun mit den Tabakproduktrichtlinien und der Regulierung des Tabakmarktes geschehen? Der neu eingesetzte Gesundheitskommissar Tonio Borg verabschiedete diese Tabakproduktrichtlinien, jedoch mit Zugeständnissen an die Tabaklobby. „Plain Packaging“ war vom Tisch. Die Tabakrichtlinien hatten keinen Beschützer mehr vor dem manipulativen Geld der Tabaklobby. Die Konsequenzen aus dem Fall Tobacco-Gate wurden zunächst nur im Zuge der Personalie Dalli gezogen.

Ein abgekartertes Spiel?

In einem Interview mit Spiegel Online erklärt John Dalli im Februar diesen Jahres: „Das war damals ein abgekartertes Spiel! Barroso hat mich fertig gemacht. Er hatte seine Entscheidung vor dem Meeting gefällt.“(Hecking, Claus: Interview mit John Dalli; Feb 14) Somit war der Rücktritt Dalli’s nicht freiwillig, wie die Europäische Kommission mit Barroso als Präsidenten behauptete. Eine Sprecherin der EU-Kommission schrieb in einem Brief an den Spiegel: „Herr Dalli stimmte mit dem Kommissionspräsidenten überein, dass seine Position politisch untragbar geworden sei.“(Ahrenkild Hansen, Pia: Brief der Sprecherin der EU-Kommission an den Spiegel; Jan.13) Über Olaf sagt Dalli, dass der Bericht über die Affäre voller Lügen, Anschuldigungen und Vorurteilen sei. Er fügt hinzu, dass das Treffen mit Kimberley zwar nur erfunden, aber die Grundlage für alle Anschuldigungen war. Dalli sieht die Widerspiegelung der Macht der Tabaklobby im Verlust seines Amtes. Durch die Schmiergeldforderungen, mit denen er höchstwahrscheinlich nichts zu tun hatte, wurde der Kommission ein Grund geliefert, ihn aus seinem Amt zu entlassen. Vordergründig war es die moralische Verfehlung, die seinem Parteigenossen Zammit und ihm angelastet wird. In Wirklichkeit sieht er durch seine Unschuld aber einen Komplott der Kommission gegen ihn, um die EU-Tabakrichtlinien unbedingt zu verhindern oder zumindest zu entschärfen. Auf die Frage, was für ein Interesse die Kommission gehabt habe, ihn loszuwerden, antwortet Dalli bestimmt: „Der Grund war die Tabak-Richtlinie, kein Zweifel.“(Hecking, Claus: Interview mit John Dalli; Feb 14) Doch inwieweit kann man diesem Mann und seinen Behauptungen trauen? Immerhin war er schon einmal in einen Schmiergeldskandal verwickelt. Als Minister auf Malta 2004. Er wurde aber freigesprochen. Ihm sei die Schuld nur in die Schuhe geschoben worden. Außerdem gibt es laut Lobbycontrol Berichte über eine Reise Dalli’s in das Steuerparadies Bahamas im Sommer 2012, bei der er 100 Millionen Dollar transferiert hat. Ein Urlaub, der während der Ermittlungen von Olaf stattfand. Dalli erklärt sich, dass dies ein Wohlfahrtsprojekt sei, das er schon seit Jahren unterstützt, für Kinder in Afrika. Es ist schon überraschend, dass er zweifach in einen Schmiergeldskandal verwickelt  war, ohne eigene Schuld. Entweder Dalli hat ganz schönes Pech im Leben oder hinter manchen Vorwürfen steckt die Wahrheit. Das sind aber nicht die einzigen Ungereimtheiten im Fall Dalli. Lobbyismus gehört in Brüssel zum Alltag und kann auch sehr förderlich sein für die Gesetzgebung und das Expertisenwissen, das hinter solchen Gesetzen stehen sollte. Ein Kommissar ist kein Fachmann in jedem Bereich und somit muss er sich externes Wissen verschaffen. Hierzu dienen in der Kommission verschiedene Konsultationen der Betroffenen. Das heißt, verschiedene Interessen werden gehört. In diesem Fall wurde zum Beispiel die Tabaklobby gehört, aber vor Allem auch Gesundheitslobbyisten. Beim eingesetzten Untersuchungsausschuss auf Grund der Dalli-Affäre kam jedoch heraus, dass die Lobbyisten regelmäßig Zugang bis in die höchsten Kreise der EU-Kommission hatten. Ob es sich hier um eine ausgewogene Anhörung verschiedener Interessen gehandelt hat, ist zu bezweifeln. Das WHO-Rahmenübereinkommen wurde gebrochen. Hierbei spielte Michel Petite eine zentrale Rolle. Der ehemalige oberste Ethikbeauftragte der EU-Kommission war gleichzeitig auch Anwalt der Kanzlei Clifford-Chance, die Philip Morris vertritt. Er hatte zur selben Zeit sein Amt als Ethikbeauftragter sowie als Anwalt ausgeübt und soll die Gesetzgebung entscheidend beeinflusst haben. Der Verdacht ist, dass er sein Amt als EU-Ethikbeauftragter und seine Kontakte genutzt haben soll, um das Interesse des Klienten Philip Morris zu vertreten. Viele Tabaklobbyisten waren regelmäßig bei Barroso zu Gast, um ihre Bedenken über die Vorhaben des Ex-Gesundheitskommissars Dalli vorzutragen. Der Verdacht, dass die Tabaklobby Dalli indirekt abgeschossen hat, wird verstärkt. Diese Kritik kommt nicht nur aus Kreisen des investigativen Journalismus, sondern findet auch immer breiteren Anklang im Europäischen Parlament. Die CDU-Abgeordnete Inge Gräßle ist zum Beispiel entsetzt, dass Petite überhaupt in der Liste von Treffen zwischen Tabakindustrie und EUKommission auftaucht. Im Hinblick auf ein Amt als Ethikbeauftragter ist ein solcher Vorwurf umso skandalöser. Insgesamt ist es auch fragwürdig, ob ein Mann, der für die Kontrolle der EU-Mitarbeiter beim Wechsel von Politik in die Wirtschaft verantwortlich ist, selbst nach der Politik zu einer Kanzlei wechselt, die Philip Morris vertritt. Um ein Beauftragter für Ethikfragen zu sein, braucht man vielleicht eine andere moralische Größe. Hinzu kommt noch, dass Philip Morris mit Swedish Match beim Vertrieb von Snus zusammenarbeitet, was die Interessenslage Petite’s erklären dürfte. Die zweite Person, die entscheidend in den Gesetzgebungsprozess eingeschritten hat, ist Catherine Day. Sie wusste von der Beschwerde über die Schmiergeldaffäre schon zwei Wochen vor der offiziellen Beschwerde. Michel Petite hatte sie darüber informiert. Im Folgenden versuchte sie laut Ingeborg Gräßle, das europaweite Verbot von Snus zu verhindern. Außerdem setzte sie sich für eine leichtere Regulierung des Tabakmarktes ein. Sie zögerte den Gesetzgebungsprozess heraus, um die harten Regulierungen Dalli’s zu verhindern. Ihre Tabakrichtlinienvorschläge hätten laut dem Spiegel auch direkt von der Tabaklobby stammen können. Lobbycontrol kritisiert des Weiteren, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wenn sich eine schwedische Lutschtabakfirma Kontakt über persönliche Bekannte zu einem EU-Kommissar verschafft. Im persönlichen Umfeld von Kommissaren sollte keine Lobbyarbeit betrieben werden. Zwar läuft vieles über Beziehungen in Brüssel und es ist in jeder Branche der Fall, dass Kontakte oft Türen zu neuen Möglichkeiten öffnen, dennoch ist dies in der Politik kritisch zu sehen. Ein demokratischer Völkerverbund muss die Einflussnahme aus dem persönlichen Umfeld der EU-Würdenträger reglementieren. Die Grenze zwischen öffentlich und privat ist schwer zu ziehen, dennoch müssen Regelungen her. Ein Fall wie Dalli’s sollte nicht mehr passieren. Eine versuchte Einflussnahme einer schwedischen Tabakfirma sollte nicht über private Kontakte in Malta geschehen, sondern in geordneten Verhältnissen in Brüssel. Kein Wunder, entwickelt sich eine immer weiter wachsende Distanz zwischen Bevölkerung und der EU, wenn die Geheimpolitik des 19. Jahrhunderts wieder zu Tage tritt. Wie der Skandal überhaupt erst ausgelöst wurde, lässt sich auch auf persönliche Kontakte, die in der Politik geschlossen wurden, zurückführen. Johann Gabrielson, der Drahtzieher der Lobbyarbeit von Swedish Match, war bis 2011 bei der EU-Kommission beschäftigt. Im EU-Komplex lernte er Gayle Kimberley kennen, die sich in ihrem Sabbatjahr dann für die Interessen des Tabakkonzerns einsetzte. Das Verhalten Barrosos ist auch kritisch zu hinterfragen. Hat Barroso auf die Chance gewartet, Dalli zu entlassen? Durch Treffen seiner Mitarbeiter mit der Tabaklobby wurde ihm mit Sicherheit klar, welche Konsequenzen die Tabakrichtlinien für die EU hätten. Barroso wollte außerdem den Ruf der Kommission schützen, dem ein Skandal um Schmiergeld sicher geschadet hätte. Die Entlassung Dalli’s war auch eine Art Selbstschutz. Er ist als Präsident für die Komission verantwortlich. Wenn er aus dieser Affäre nicht die politischen Konsequenzen gezogen hätte, wäre es ihm an den Kragen gegangen. Die Vorwürfe gegen OLAF wiegen mit Sicherheit schwerer. Nicht nur das fragliche Vernehmungsvorgehen ist zu kritisieren, sondern auch der Bericht über die „unzweideutigen Indizien“ die Dalli’s Schuld beweisen. Hinzu kommt noch, dass OLAF den Manager Gabriellson dazu überredet haben soll, vor dem Europäischen Parlament den Fakt, dass das zweite Treffen zwischen Kimberley, Gabriellson und Dalli erfunden war, zu verschweigen. Wer einen Zeugen vor dem Europäischen Parlament dazu nötigt, die Unwahrheit zu sagen, sollte in seine Schranken gewiesen werden. Es gibt kein offizielles Gremium, das die Arbeit von OLAF wirklich kontrollieren würde. Beschwerden über die Arbeitsweise können bei Kessler, dem Präsidenten von OLAF selbst eingereicht werden. Dieser ist aber selbst in den Skandal verwickelt.

Konsequenzen aus der Dalli-Affäre

Außer der Personalie Dalli sind kaum Konsequenzen aus der Affäre gezogen worden. Im Dezember 2013 ist Michel Petite freiwillig von seinem Amt als Ethikbeauftragter der Kommission zurückgetreten und hat somit seine Doppelfunktion beendet. Dies war auf Grund von immensen Druck durch Lobbyismusgegner nötig geworden. Dieser Rücktritt war die richtige Entscheidung. In dieser Doppelfunktion ist Petite meiner Meinung nach moralisch nicht mehr tragbar gewesen. Die Tabakrichtlinien, die laut Herr Dalli extrem verwässert wurden, sind Februar diesen Jahres verabschiedet worden. 65 Prozent einer Zigarettenpackung müssen nun mit Warnbildern oder Aufschriften wie „Rauchen kann tödlich sein“ versehen sein. Außerdem wurden aromatische Zusatzstoffe wie Menthol verboten. Zwar ist es zu keinem Entschluss zu Plain Packaging gekommen, von der krassen Verwässerung gemäß Dalli kann aber keine Rede sein. Es ist trotzdem festzuhalten, dass die Tabakrichtlinie, nach dem Rücktritt Dalli’s, entschärft wurde. Insgesamt kann wohl von einer Einflussnahme der Tabaklobby auf die Gesetzgebung gesprochen werden. Laut der Tagesschau waren in dieser Zeit 150 Lobbyisten von Philip Morris in Brüssel unterwegs. Ob die Tabaklobby Dalli den Job gekostet hat, ist meiner Meinung nach zu verneinen. Zwar ist die Intrige nach intensiver Recherche immer noch sehr undurchsichtig, dennoch denke ich, dass die Tabaklobby nicht für den Skandal verantwortlich ist. Höchstwahrscheinlich kam es ihr sehr gelegen, aber verantwortlich ist Zammit mit der Forderung in Höhe von 60 Millionen Euro. Dennoch müssen weitere Schlussfolgerungen aus der Affäre Dalli gezogen werden. OLAF muss kontrolliert werden. Man darf selbst einem Kontrollorgan nicht freie Hand lassen, was durch diesen Fall klar wurde. Alle Vorwürfe gegenüber OLAF müssen aufgeklärt werden. Die Personalie Giovanni Kessler sollte überdacht werden. Die Regeln, die für die Konsultationen mit der Tabaklobby gelten, müssen eingehalten werden. Hierzu gibt es ein WHO-Rahmenüberinkommen zum Umgang mit der Tabaklobby. Außerdem gibt es genaue Regeln für den Seitenwechsel von Politik zu Wirtschaft. Diese Regeln müssen von der Kommission eingehalten und beachtet werden. Ein negatives Beispiel hierfür ist Petite. Die Kommission muss sich von Geheimtreffen distanzieren und weiterhin versuchen ihre Arbeit transparenter zu verrichten. Es ist kein Wunder wenn in der Bevölkerung bei solchen Skandalen ein negatives Bild der EU entsteht. Der Vorwurf der Geld- und Machtgeilheit würde nur verstärkt werden und der Blick auf den EU-Apparat würde sich weiter verschlechtern. Dann wird man in Zukunft am Stammtisch öfters die ironischen Worte hören: „Dalli Dalli! Sie sind der Meinung das war Spitze“.

Meinungsartikel von Raffael Ruppert, Passau
6. Mai 2014

Der Artikel entstand im Rahmen des Proseminars Interessenvertretung in der Europäischen Union
 an der Universität Passau (Wintersemester 2013/14).

 

Literaturverzeichnis

  • Ahrenkild Hansen, Pia: Brief der Sprecherin der EU-Kommission an den Spiegel: Der Spiegel, 14.01.13; Internet: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-90535582.html
  • Deutsche Wirtschaftsnachrichten: EU-Skandal: Geheimtreffen von Barroso-Mitarbeitern mit der Tabak-Lobby: deutsche-wirtschafts-nachrichten.de, 17.10.12; Internet: http://deutschewirtschafts-nachrichten.de/2012/12/17/eu-skandal-geheimtreffen-von-barroso-mitarbeiternmit-tabak-lobby/
  • DGN-Redakteur: Michel Petite tritt als Leiter der EU-Ethik-Kommission zurück: Deutsche Gesundheitsnachrichten, 24.12.13 Internet: http://www.deutsche-gesundheitsnachrichten.de/2013/12/24/michel-petite-tritt-als-leiter-der-eu-ethik-kommission-zurueck/
  • Hecking, Claus: Interview mit John Dalli. „Ich bin immer noch EU-Kommissar“ Spiegel.de 26.02.14; Internet: http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/john-dalli-im-interviewueber-seinen-ruecktritt-und-den-skandal-a-954517.html
  • Katzemich, Nina: Ein Jahr „Dalli-Gate“. EU-Kommission sitzt Lobbyskandal aus: Lobbycontrol.de, 16.10.13; Internet: https://www.lobbycontrol.de/2013/10/ein-jahr-dalligate-eu-kommission-sitzt-lobbyskandal-aus/
  • Katzemich, Nina: Endlich: Untersuchungsbericht zu EU-Lobbyskandal durchgesickert. Lobbycontrol.de, 29.4.13; Internet: https://www.lobbycontrol.de/2013/04/endlichuntersuchungsbericht-zu-eu-lobbyskandal-durchgesickert/
  • Kuhrt, Nicola: Interview mit Giovanni Kessler: „Wir haben niemals gesagt, dass Dalli selbst Schmiergeld gefordert hat.“ Spiegel.de, 26.02.14; Internet: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/dalli-skandal-giovanni-kessler-im-interview-a-955422.html
  • Kuhrt, Nicola/ Hecking Klaus: Skandal um EU-Gesundheitskommissar- Wer hat John Dalli verraten? : Spiegel.de, 26.02.14; Internet: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/tabakrichtlinie-eu-kommissar-dalli-soll-opfereiner-intrige-sein-a-938778.html
  • Küstner, Kai: EU setzt auf Schock und Ekel. Tagesschau.de, 26.02.14; Internet: https://www.tagesschau.de/ausland/tabak-eu100.html
  • Pauly, Christoph: Aber Dalli!, in: Der Spiegel, 51 (2012) Internet: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-90157573.html
  • Pauly, Christoph: Laufbursche der Kommission, in: Der Spiegel, 18 (2013) Internet: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-93419367.html
  • Spiegel Online: Europäische Union: Kommissar Dalli tritt wegen Bestechungsaffäre zurück. Spiegel.de 16.10.12; Internet: http://www.spiegel.de/politik/ausland/eugesundheitskommissar-dalli-wegen-betrugsaffaere-zurueckgetreten-a-861661.html
  • Staff Reporter, Malta Today: Dalligate, one year on: transparency and lobbying rules still weak. Maltatoday.com.mt, 16.10.2013 Internet: http://www.maltatoday.com.mt/news/dalligate/30722/dalligate-one-year-ontransparency-and-lobbying-rules-still-weak-20131016#.UzLsD4WKk3o

 

Bildnachweis: John Dalli (Malta), European Commissioner for Health and Consumer Policy. At the Christians in the Holy Land Conference July 2011 – licensed under the Creative Commons Attribution 2.0 Generic license

No Angst: Europakonsensschland erklären!

Natürlich halten die Kurse nach der Bundestagswahl. Die Eurozone lebt vom stabilen Deutschland. CNBC fragte mich gleich nach der Wahl, welche Auswirkungen die Wahl denn auf die Eurozone habe. Keine, das heißt eine stabilisierende. Denn wenn der Wahlkampf schon langweilig war und sich die meisten Parteien in der Frage des Krisenmanagements kaum unterschieden, dann kann auch das Wahlergebnis für die Eurozone nicht besonders spannend sein. Gottseidank!

Die CNBC-Frage nach der AfD kann glücklicherweise auch nicht sonderlich provozieren. Kleinstparteien mögen zwar in Deutschland als Mehrheitsbeschaffer eine wichtige Rolle spielen, die Bedeutung von Englands UKIP kann AfD aber kaum erhalten. Im Vereinigten Königreich kann ein Wahlkreis mit 20% der Stimmen zu 100% gewonnen werden. In den meisten der 650 Wahlkreise können selbst geringe Verluste einer einfachen Mehrheit einen 100% Machtverlust bedeuten. Das Mehrheitswahlrecht hat so längst seinen stabilisierenden Charakter eingebüßt, wie Jon Worth richtigerweise in einem Beitrag angemerkt hat.  Ein englisches Ätschibätsch nach einer deutschen UKIP im AfD-Schafspelz (The Telegraph: „Merkel’s UKIP„) verhallt ungehört im deutschen Konsenstag. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Anders als der Bundesrepublik droht dem Königreich ein Flickenteppich und eine immer weniger repräsentative Demokratie.

Das stabile Deutschland ist mit Föderalismus, Sozialpartnern, starken Kommunen für Medien schrecklich unübersichtlich und nicht nur für den ausländischen Betrachter im Ergebnis langweilig. Egal welche Koalition nun gebildet wird, die Opposition ist entweder ganz klein oder über den Bundesrat eng an der Regierung zu beteiligen. Europapolitisch gibt es dann erst recht keinen Zündstoff. Leider führt dies ungewollt zu negativen Kollateralschäden für den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern und den Interessengruppen. Europas Relevanz verliert sich im deutschen Niemandsland.

Zugegeben: für das konsensorientierte Deutschland steht auch meine Arbeitgeberin, die Europäische Bewegung Deutschland. 1949 – ausgerechnet von einem konservativen Briten mitgegründet – gehört sie zum bundesrepublikanischen Erstinventar. Fast alle Parteien sind drin, die Sozialpartner eh und über 200 Organisationen aus Wirtschaft und Gesellschaft auch. Ohne das so erfolgreiche Konsensschland zu verlassen, braucht die künftige Bundesregierung Mut zu mehr Kommunikation und Wettstreit der Ideen. Aber gleichzeitig braucht man auch eine neue Konsenskultur in Europa: „Wenn Europa nicht in der weltpolitischen Bedeutungslosigkeit versinken will, brauchen wir eine neu verhandelte, eine klug gestaltete Union, die alle mittragen.“ (Rainer Wend)

 

 

Brussels Business bei Arte

Diese Woche geht Brussels Business auf Sendung. Schon vor einigen Monaten konnte ich den Film sehen. Ich bin froh dass endlich jede/r diese Meisterdokumentation dramatischer Bilder oder besser den „Doku-Thriller“ (IMDB) sehen kann. Aber bleiben Sie kritisch: das Drama mag irreführen.

  • 12 Februar 2013 20:16 Uhr, Arte, Wiederholung 24. Februar 2013 01:35 Uhr
  • ab  5. Februar 2013 30 Tage online bei Arte: The Brussels Business

Meine Kritik zu Brussels Business

Wikipedia Artikel

Internet Movie Data Base

Offizielle Facebook Seite

Offizielle Webpage

Brussels Business oder Ein Flutlicht auf den Lobbymoloch

Dramatische Bilder, pompöse Musik, Brüssel aus Googlemapssicht oder per Limosine in grauen Straßenschluchten. Wenn man den Film gesehen hat, weiß man nicht mehr so genau, ob er schwarz-weiß oder bunt war. „The Brus$els Business“ macht Eindruck und bewirkt Kopfschütteln. Aber nicht immer da, wo es sich der Wiener Regisseur Friedrich Moser vielleicht wünscht. Ich konnte den Film gestern in einer Preview gleich in meiner Nachbarschaft sehen. Es geschah am 7. September 2012 im ACUDKino, das seltsamerweise so verwinkelt und hinterzimmerisch aufgebaut ist, dass es ideal zum dunklen Bild des Lobbying passt, allerdings in Berlin.

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Relevant durch Krise: Für eine europäische ARD

Immer häufiger wird nach einer europäischen Öffentlichkeit gefragt. Und dies liegt eindeutig an der Krise. Selten beherrschte die Europapolitik so sehr die Schlagzeilen. Nationale Medien und Politiker bekommen nicht nur einen Crashkurs in Sachen Europapolitik sondern müssen sich mit EU-Mitgliedstaaten beschäftigen, die sie jahrelang links liegen gelassen haben. Es braucht aber auch eine europäische Berichterstattung, die den nationalen Kirchturm ergänzt. In einem dpa-Beitrag habe ich nun einen europäischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gefordert. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum etwas, was in Deutschland vorbildlich ist, nicht auch in Europa funktionieren sollte. Vorbildlich könnte nicht das ZDF sondern die föderale ARD sein.

Nachzulesen in : Euro-Krise bietet Chance für europäische Medienöffentlichkeit, von Miriam Schmidt, dpa