Dienstag, 11. Februar 2014.: Die deutsche Bevölkerung ist empört. Deutschland hatte sich an diesem Tag bei der Abstimmung der EU-Agrarminister nicht etwa gegen eine Zulassung von gentechnisch verändertem Mais ausgesprochen, wie es dem Stimmungsbild der Bevölkerung entsprochen hätte. Nein, Deutschland hatte sich schlicht und einfach der Stimme enthalten. Und das, obwohl es mit seiner Stimme die Nichtzulassung wahrscheinlich hätte herbeiführen können. Die Begründung: Die Große Koalition habe sich zuvor nicht einigen können. Und der Wille des Volkes? Bleibt unberücksichtigt. Es muss sich wohl damit abfinden, dass Genmais nun mangels ausreichender Gegenstimmen europaweit zugelassen wird. Doch wenn nicht die Mehrheit des Volkes bei einem derart wichtigen gesellschaftlichen Thema die Richtung vorgibt, wer tut es dann? Werden Abgeordnete, die „Vertreter des Volkes“ mehr und mehr zu Vertretern anderer politischer Akteure, z.B. von Konzernen, die ein großes Interesse daran haben, Genmais auch in Europa anbauen zu dürfen? In welchem Verhältnis stehen der Wille des Volkes und der Einfluss dieser Konzerne? Was ist die Rolle der Interessenvertreter und wie beeinflussen sie die Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene?
Im Folgenden soll anhand des Zulassungsprozesses von gentechnisch verändertem Mais in der EU beleuchtet werden, welche Auswirkungen Interessenvertretung auf die Entscheidungsfindung haben kann und warum sowohl ein Demokratiedefizit der EU als auch eine fehlende europäische Öffentlichkeit vielfach beklagt werden.
Genmais, das ist für viele Menschen in Europa ein äußerst heikles Thema, ganz besonders in Deutschland. Während die grüne Gentechnik in vielen anderen Staaten schon seit längerem Einzug in Landwirtschaft und Nahrungskette gehalten hat, gibt es vor allem in Deutschland noch erhebliche Bedenken. Die Menschen haben Angst vor gesundheitlichen Risiken und befürchten eine zu starke Belastung der Natur. Tatsächlich lehnen laut aktuellen Umfragen 88% der Bevölkerung gentechnisch veränderten Mais ab (vgl.: Kahrs, neopresse.com, 2014: Genmais 1507. GroKo-Deal und erster Offenbarungseid der Regierung). Doch wird Genmais in Zukunft wohl auch auf deutschen Feldern angebaut werden. Wie kann das sein? Bei der eingangs erwähnten Abstimmung des EU-Ministerrats in Brüssel lehnten 19 von 28 EU-Staaten den Anbau der Sorte Genmais 1507 in Europa ab. Diese einfache Mehrheit reicht jedoch nach Art.16 Abs.3 EUV nicht aus, es wird eine qualifizierte Mehrheit benötigt. Eine qualifizierte Mehrheit gegen den Beschluss kam jedoch nicht zustande, da sich u.a. Deutschland seiner Stimme enthielt. Die Kommission wird den Anbau von Genmais zulassen müssen. (Art.18 Abs.1 i.V.m. Art.30 Abs.2 der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG).
Es stellt sich zwangsläufig die Frage, warum sich Deutschland in einer so wichtigen, jeden einzelnen Bürger betreffenden Frage der Stimme enthalten hat. Dies umso mehr, als die Meinung der Bevölkerung selten so deutlich zutage tritt, wie in der Genmais-Debatte. Die Bundesregierung begründete ihr Abstimmungsverhalten damit, dass sie sich intern nicht habe einigen können. Das CDU-geführte Forschungsministerium, ebenso wie die Bundeskanzlerin hießen die grüne Gentechnik gut, während das CSU-geführte Agrarministerium und das SPD-geführte Wirtschaftsressort dieser ablehnend gegenüber ständen. Dennoch: Kann eine eindeutige Position der Bevölkerung zu einem Thema, das in der Umsetzung alle gleichermaßen betrifft, einfach so übergangen werden? Zumal sogar im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung festgelegt wurde, dass die Bedenken eines Großteils der deutschen Bevölkerung gegenüber grüner Gentechnik anzuerkennen seien (vgl. Koalitionsvertrag 2013: 87). Offensichtlich wurde dieser „Phrase“ als einer unverbindlichen Absichtserklärung keine Bedeutung zugemessen. Der Begriff „Demokratiedefizit“ erscheint in diesem Fall durchaus zutreffend. Denn ist es nicht die demokratisch legitimierte Bundesregierung, die den Bürger und seine Interessen vertreten sollte? In wessen Interesse handelt sie sonst? Haben vielleicht die Interessenvertreter der Saatgutkonzerne einen zu großen Einfluss auf die Politiker?
Fest steht, dass Konzernen wie Pioneer Dupont sehr daran gelegen ist, genveränderten Mais auch in Europa anbauen zu können. Pioneer Dupont hatte bereits 2007 zu Recht vor dem Gericht der EU in Luxemburg (EuG) gegen die Europäische Kommission Klage erhoben, weil der Start des Verfahrens über die Genmais 1507-Entscheidung in Europa nicht innerhalb der erforderlichen Frist eingeleitet worden war. (vgl.: Pioneer Hi-Bred International/ Kommission der europäischen Gemeinschaften 2007)
Auch das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union ist hier sicherlich ein nicht zu unterschätzender Faktor, der das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung erklären könnte. Eine strikte Ablehnung der Zulassung eines amerikanischen Produktes hätte eine zusätzliche Gefahr für das Abkommen und die Beziehungen zu den USA bedeuten können. Amerika und die EU sind an einem derartigen Abkommen sehr interessiert, das wirtschaftliches Wachstum und mögliche Arbeitsplätze gewinnen soll. Allerdings besteht die Gefahr, dass die europäischen Standards, z.B. in der Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung, dann nicht mehr wie bisher gewahrt werden können. Sie würden möglicherweise an die amerikanischen Standards angeglichen werden. Produkte, die in Amerika zugelassen sind, würden in der Folge auch nach Europa Zugang erhalten. Laut einer US-Studie stehen viele Europäer diesem Abkommen daher mit Argwohn gegenüber: Gerade im Bereich Lebensmittelsicherheit vertrauen rund 94% der Deutschen ausschließlich auf die europäischen Standards. (vgl.: Fischer, US-Studie, 2014: Deutsche zweifeln an Freihandelsabkommen) In der Genmais-Debatte handelt es sich um eine Gradwanderung zwischen Innovation und Risikoeingrenzung. Die deutsche Bundesregierung setzt hierbei offenbar auf den Faktor Innovation. Hat sie sich von den Argumenten der Interessenvertreter amerikanischer Konzerne überzeugen lassen? Diese beteuern immer wieder die Unschädlichkeit ihrer Produkte und drängen auf die Zulassung in Europa.
Es gibt durchaus Studien, die die Verträglichkeit von Genmais für Mensch und Natur bestätigen und sogar Vorteile bei einer Umstellung von natürlichem zu gentechnisch verändertem Mais sehen. Demnach sei ein Argument für den Anbau von Genmais die Bekämpfung des Welthungers: Durch die eigene Insektenresistenz des Genmais 1507 sollen Ernten ertragreicher werden und somit die Möglichkeit bieten, für eine Verbesserung der Lebensqualität in der Dritten Welt zu sorgen. Auch könnten Genpflanzen als Energiemittel dienen: eine Chance dem Klimawandel entgegenzutreten und für Nachhaltigkeit zu sorgen. Kritiker lassen sich von diesen Argumenten hingegen nicht beeindrucken. Die Risiken, die entstehen könnten sobald die Natur oder der Mensch mit genmanipulierten Pflanzen bzw. Lebensmitteln in Berührung kommt, seien noch zu wenig erforscht. Sie verweisen auf verschiedene Studien, die zeigen, dass gewisse umwelt- und gesundheitsschädigende Risiken durchaus nicht auszuschließen sind. So konnten Resistenzen von Schädlingen gegenüber dem „Wundermais“, der angeblich Schädlinge fern halten soll beobachtet werden. Diese erforderten in der Folgezeit einen erhöhten Einsatz an Spritzmitteln. In Brasilien, wo der Mais schon früher angebaut wurde, führte das zu einer Vernichtung der Ernte und großen finanziellen Verlusten der Bauern. Sie mussten zunächst das teure Saatgut und später teures Spritzmittel kaufen. Der Genmais, der Hoffnungen weckte, weniger Spritzmittel verwenden zu müssen, kehrte diese in der Realität nun ins Gegenteil um. Die Bauern wurden von dem Saatgut, gegen das die Insekten noch keine Resistenzen gebildet hatten, abhängig und den Gewinn machten ausschließlich die Konzerne, wie Saatguthersteller Pioneer. Sie konnten im Interesse der eigenen Profitmaximierung Saatgut und Spritzmittel doppelt verkaufen.
Die European Food Safety Authority (EFSA), deren Urteil über Lebensmittelsicherheit die Entscheidungen der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und der EU-Mitgliedsstaaten maßgeblich beeinflusst, hat Mais 1507 als unbedenklich eingestuft. Doch werden zuweilen auch gewisse Zweifel an der Unabhängigkeit der EFSA vorgebracht. So kommt es Recherchen der Süddeutschen Zeitung zufolge dort immer wieder zu Interessenskonflikten, da mehrere Mitarbeiter der EFSA gleichzeitig für Konzerne der Lebensmittelindustrie arbeiten. Das ist erlaubt, solange diese „Doppelbeschäftigungen“ transparent sind. Dennoch erscheint es äußerst bedenklich, wenn Mitarbeiter einer Aufsichtsbehörde gleichzeitig Interessen von Konzernen vertreten, die beaufsichtigt werden sollen. (vgl.: Falck/Oppong, 2011: Abhängige Kontrolleure) Das Urteil der EFSA zum Mais 1507 erscheint in diesem Zusammenhang damit zumindest als diskussionswürdig.
Es wird deutlich, dass Interessenvertretung immer und überall stattfindet und doch für Außenstehende nur schwer zu fassen ist. Dabei kann sie sowohl positiv als auch negativ empfunden werden, aber sie ist letztlich unverzichtbar. Interessenvertreter bringen das nötige Fachwissen in den Entscheidungsprozess mit ein, ohne das keine vernünftige Beurteilung möglich ist. Allerdings kann dieser Einfluss durchaus auch manipulierend wirken, so dass mitunter nicht sachgerechte Entscheidungen zustande kommen können. Andererseits muss aber auch zugestanden werden, dass die Aufgabe der Interessenvertreter nicht nur in der Beeinflussung, sondern auch in der Beobachtung europäischer Politik liegt. Ohne sie könnte kein Akteur schnell genug auf Veränderungen reagieren. Der einzelne Bürger bekommt davon jedoch meist nichts mit. Vielfach wird eine fehlende Transparenz beklagt, die es der Öffentlichkeit ermöglichen würde Anteil an der Entscheidungsfindung zu nehmen. Das Zulassungsverfahren von Genmais zeigt zudem, dass der Verbraucher keinerlei Einfluss auf die Entscheidung nehmen kann, deren Auswirkungen ihn jedoch persönlich betreffen werden. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit in einer Demokratie, in der doch eigentlich „das Volk“ größtenteils mitentscheiden sollte, könnte in der Konsequenz zu mehr Politikverdrossenheit führen. Um die Bürger zu beruhigen wurde nach der Abstimmung im Februar nach einer Hintertür gesucht, die es ermöglichen könnte, den Anbau von Genmais noch zu verhindern. Solange keine echte Gefahr für den Verbraucher oder die Umwelt bestätigt ist, darf es laut EU-Recht kein nationales Anbauverbot geben.
In Deutschland hatte sich der damalige Landwirtschaftsminister Friedrich deshalb für ein nationales „opt-out“-Verfahren ausgesprochen. Auch der Bundesrat forderte in einer Stellungnahme an die Bundesregierung deren Einsatz für eine gentechnikfreie Landwirtschaft in der EU. Sollte dies nicht durchgesetzt werden können, wären nationale Ausstiegsklauseln als Mittel zur Selbstbestimmung einzelner Staaten notwendige Maßnahmen. (vgl. Bundesrat, Stenografischer Bericht, 2014: 54-55) Ein Hoffnungsschimmer für Genmaiskritiker? Noch stellen sich die Bundesregierung und Belgien gegen eine derartige Regelung. Es bleibt also weiterhin abzuwarten ob eine Lösung des Problems in Sicht ist oder lediglich eine Art Beruhigungstablette für den Bürger generiert wurde.
Andererseits müssen sich die europäischen Bürgerinnen und Bürger vielleicht auch erst Schritt für Schritt an die neuen Technologien gewöhnen. Aus der Geschichte weiß man, dass technischer Fortschritt zunächst meist auf Ablehnung stößt. Denn „was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht.“ Genmais kennt der Bürger noch nicht und gerade darin sieht er die Gefahr. Genmais-Befürworter und Genmais-Kritiker werfen sich gegenseitig vor, dass ihre Studien nicht ausreichend fundiert seien. Für eine endgültige Entscheidung, gestützt auf klare wissenschaftliche Belege unabhängiger Forschung braucht es wohl noch etwas mehr Zeit. Vielleicht sind die Europäer aber in gewisser Weise bald sogar gezwungen dieses neuartige Produkt zu akzeptieren, um einen freien Handel zu gewährleisten. Eine derartige Voreiligkeit seitens der EU würde allerdings das Vertrauen der Bürger zutiefst erschüttern und besonders mit Blick auf die diesjährigen Europawahlen wäre solch ein Vertrauensbruch fatal.
Meinungsartikel von Sophie von Stralendorff, Passau 6. Mai 2014
Der Artikel entstand im Rahmen des Proseminars Interessenvertretung in der Europäischen
Union an der Universität Passau (Wintersemester 2013/14).
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