Ach, herrje ist Brüssel kompliziert und dieser Lobbyismus…

Ach, herrje ist Brüssel kompliziert und dieser Lobbyismus… Es ist ein öffentlich-rechtliches Kontrastprogramm. 2013 legte „Brussels Business“ bei Arte vor, nun kam das „Wunder von Brüssel“ im WDR (hier aktuell in ARD-Mediathek). Vorab: Wir können froh sein, dass wir einen vielfältigen öffentlichen Rundfunk haben. Wer sich beide Dokumentationen hintereinander anschaut, kann kaum glauben, dass es um das gleiche Thema geht: um  Lobbyismus in Brüssel. Macht Brussels Business so richtig düster-cineastische Stimmung, so schaltet ARD-Korrespondent Christian Feld auf einen erfrischenden Erklärmodus und macht klar, worum es beim Lobbyismus wirklich geht: um Einflussnahme auf Gesetzgebung. Und da die Mitgliedstaaten und ihre Parlamente eine Vielzahl der Gesetze den EU-Institutionen überlassen haben, sucht sich der Lobbyismus, wie das Wasser am Berg, seinen europäischen Weg. Manchmal staut es, manchmal sickert es durch, aber meist wird es von Parlament, Kommission und Regierungen kanalisiert.

„Brussels Business“ hatte es sich mit seinem Flutlicht auf einen vorgeblichen Lobbyistenmoloch einfach gemacht. Das „Übel Lobbyismus“ verband „Brussels Business“ mit der europäischen Hauptstadt. Die Macher marginalisierten das Europaparlament förmlich, obwohl es doch eine wirksame Medizin gegen Einzelinteressen war und ist.

Das „Wunder von Brüssel“ hingegen lässt im Europawahljahr das Parlament im erstaunlich guten Licht erscheinen. Es wird deutlich, wie das Berichterstatterwesen im „Ausschussparlament“  EP funktioniert. Die „David-Figur“ (FAZ), der Europa-Abgeordnete und EU-„Datenschutzgrundverordnungsberichterstatter“  Jan Philipp Albrecht wird zum ehrlichen Makler unterschiedlicher Interessen. Genau so kann man Albrecht und viele seiner EP-Kollegen auch bei „Berichterstatter im Dialog“ des Netzwerks EBD erleben. Das gemeinsam mit dem Informationsbüro des Europäischen Parlaments durchgeführte Format ermöglicht Interessenvertretern den selbstverständlich offenen Austausch mit diesen wirkmächtigen und nicht nur berichtenden Volksvertretern.

Nun wird auch das Wunder von Brüssel kritisiert:  „Mini-Strafe für Google?“  fragt Uwe Ebbinghaus von der FAZ. Worauf er abzielt ist das ewige öffentliche Fremdeln mit Interessenvertretung, wenn Gesetze gemacht werden. Wir müssen wohl alle vergeblich darauf warten, dass Lobbyismus wertneutral erklärt wird, als notwendiger Teil einer nicht immer perfekten Demokratie.  Dass in Deutschland der Ursprung der Lobby vornehmlich in Hotels und nicht in Parlamenten vermutet wird, ist sicherlich ärgerlich, aber dem aktuellen politischen Zeitgeist geschenkt, der zwischen Volk und preußischen Beamten nur schmierige Vertreter und korrupte Politiker sehen möchte.  Aber selbst das Wunder von Brüssel hat nicht genug Sendezeit, um alles gerecht zu gewichten (und es hätte ja auch wie Brussels Business enden können…).  Aber immerhin: Christian Feld löst das Gesetzgebungswunder von Brüssel durch Jan Philipp Albrecht positiv auf, mit  „eigentlich ist es ein Wunder der Demokratie“.

Gewichtiger ist ein anderer Aspekt, der von der FAZ aufgeworfen wurde. Auch mir fiel auf, dass das „Wunder von Brüssel“ die Rolle der Mitgliedstaaten unterbelichtet. Dies ist in der Tat eine „Black Box“. Da helfen auch keine litauischen und griechischen Drehorte und auch nicht die Ausrede, dass alles so kompliziert sei. 

Wer Lobbyismus in der Europapolitik verstehen und erklären möchte, sollte nationale Politiken nicht unterbelichten. Es wäre äußerst spannend, wenn erstmals ein Berliner und Brüsseler Korrespondent gemeinsam Interessenvertretung und Gesetzgebung im europäischen Mehrebenensystem erklären könnten.

Anfangen würde ich da mit einer Analyse der deutschen Enthaltung zur Verhinderung (?) der Genmais-Verordnung. Am Rande einer Tagung in Tutzing habe ich bei Christian Feld mit einer privaten Umfrage begonnen: „Wer kann mir sagen, wann wer in Berlin entschieden hat, dass sich Deutschland schlussendlich enthielt.“ Die einfache Antwort in der deutschen Presse: die Koalition war sich nicht einig (so ähnlich Tagesschau). Ergo habe sich „Deutschland“ „in Brüssel“ enthalten müssen.

Aber genaueres zum innerdeutschen Entscheidungsprozess, zur europapolitischen Koordinierung, mit enormen Auswirkungen auf EU-Gesetzgebung, können weder Brüsseler und erst recht nicht Berliner Korrespondenten liefern.

Ach, herrje ist Berlin kompliziert und welcher Lobbyismus…?

Brussels Business bei Arte

Diese Woche geht Brussels Business auf Sendung. Schon vor einigen Monaten konnte ich den Film sehen. Ich bin froh dass endlich jede/r diese Meisterdokumentation dramatischer Bilder oder besser den „Doku-Thriller“ (IMDB) sehen kann. Aber bleiben Sie kritisch: das Drama mag irreführen.

  • 12 Februar 2013 20:16 Uhr, Arte, Wiederholung 24. Februar 2013 01:35 Uhr
  • ab  5. Februar 2013 30 Tage online bei Arte: The Brussels Business

Meine Kritik zu Brussels Business

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Europäisierte Geschichte oder „Es war einmal… die Nation“

Hier fing Europa an? 785 unterwirft der „Franzose“ Karl der Große die „Deutschen“ in Paderborn. Das macht uns Historienmaler Ari Scheffer über 900 Jahre später glauben. Gemälde in Versailles.
Quelle: Wikimedia commons

Achtung! Jetzt wird es nostalgisch. Wer eine Schwäche für das Zeitalter von Barock & Aufklärung hat und gleichzeitig europäisch arbeitet, bekam zum Jahresende eine richtig nette Lektüre geschenkt. Der Economist hat die besinnlichen Tage genutzt und das Heilige Römische Reich mit der Europäischen Union verglichen. Seine überraschenden Einsichten „European disunion done right“ (22. Dezember 2012) sollte man ausführlich lesen. „The first Eurocrats“ waren die Gesandten im „Immerwährenden Reichtstag“ in Regensburg? Ein vormodernes Gebilde gilt für die führende britische Wochenzeitschrift als Vorbild für eine europäische „Desintegration“? Wer schreibt im Spiegel den Artikel „Britische Wellenherrschaft, diesmal gut für alle“? Aber die gewagte Gleichsetzung ist keine Erfindung des Economist. Ralph Bollmann schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von Pufendorfs  „irregulären und einem Monstrum ähnlichen Körper“ und meint damit nicht nur das Reich, sondern auch die EU. Anders als die englischen Kollegen verschweigt Bollmann die neutrale Bedeutung des lateinischen „Monstrum“.

Es war schon immer reizvoll wie gefährlich historische Parallelen zu ziehen. Legitim ist es allemal. Man muss nur die Grenzen kennen. Journalisten tauchen in die Geschichte ein. Historiker zieht es in die europäische Gegenwart. Dabei macht sich die Geschichtswissenschaft keine Illusionen. Sie sieht sich bei allem objektivierendem Bemühen nicht frei vom Zeitgeist.

Einer der führenden deutschen Frühneuzeitler Heinz Durchhardt schrieb 2007 in seinem Standardwerk zum 18. Jahrhundert: „Fast im Gleichschritt mit dem europäischen Einigungsprozess hat die Geschichtswissenschaft allgemein und die Frühneuzeitforschung im Besonderen den Reiz europäischer Forschungsansätze erkannt.“ Und er wagte einen Paradigmenwechsel. Er ersetzte den Begriff „Absolutismus“ durch „Barock“. Begründung: das Zeitalter der Nationen hat erst rückwirkend Königs zu absoluten Herrschern verklärt, die sie in der partizipativen vielschichtigen Gesellschaft des Barocks nie waren. So sehen es nicht nur der Economist und die FAZ unser heutiges Europa als Spiegel des 17./18. Jahrhunderts. Nur so lässt sich Durchhardts neues Kapitel „Europäisierung als Kategorie der Frühneuzeitforschung“ erklären. Die Kommunikationsrevolution, marginalisierte Nationen, der Aufstieg neuer Bildungsschichten, europäischer Bildungsaustausch, kurz Integration und Interkulturalität werden dem 21. und 18. Jahrhundert ohne Scheu gleichermaßen zugesprochen. Ansätze hierzu finden sich in der „Europäistik“ von Wolfgang Schmale.

Aber man muss auch gar nicht in die große weite Welt des Economist fahren und die Historiker bemühen. Ganz stolz musste ich dieser Tage erfahren, dass meine Heimatstadt Paderborn von Arte für  etwas ganz besonderes ausgezeichnet wurde: einen „ewigen Liebesbund“ mit Le Mans, „der als eines der ältesten internationalen Abkommen gilt und gleichzeitig die erste offizielle Verschwisterung zweier europäischer Städte begründete.“ Das hat mich motiviert, in Wikipedia die „Städtepartnerschaft Le Mans-Paderborn“ auf Deutsch zusammenzufassen. Soviel europäischer Lokalstolz muss sein.

Wer in den 80er Jahren in der zentralsüdostwestfälischen Provinz zum ersten Mal mit Europa zusammentraf, tat dies aus verschiedenen Gründen. Langweiliges – aber aus heutiger Sicht unglaublich europäisches – Fernsehen und eine beeindruckend starke Städtepartnerschaft mit Le Mans – gehegt und gepflegt von der viel gescholtenen aber transnationalen katholischen Kirche und in vielen schulischen- und zivilgesellschaftlichen Kreisen, vom Schützen- zum Kulturverein. Ich dachte immer, die europäischen Bekenntnisse in meiner Umwelt wären nur Knabenmorgenblütenträume gewesen. Aber es war wohl in der Tat etwas ganz besonderes. Wenn ein – zugegeben – Spartensender heute die guten alten Städtepartnerschaften ehrt, wird deutlich, was alles in den 90er Jahren verloren gegangen ist. Ein Vertreter des Städte- und Gemeindebundes brachte es einmal auf diesen Punkt: „Früher gab es in den Städten das Europa der Bewegungen, heute der Richtlinien.“ Organisationen wie der „Rat der Gemeinden und Regionen Europas“ (RGRE) erhielten in den letzten 20 Jahren immer weniger Beachtung. Knallharte Juristen des Wettbewerbsrechts ersetzten im Kampf gegen die sog. Brüsseler Regelungswut den interkulturellen Städtepartnerschaftsvermittler. Aber es gibt erste Ansätze einer erfreulichen Renaissance der „Gemeinden Europas“. Im Rahmen der Feierlichkeiten zu 50 Jahre Élysée-Vertrag bewirbt der RGRE gemeinsam mit ARTE die alte Städtepartnerschaftsidee neu – leider noch nicht auf Deutsch.

Es gibt im Internetzeitalter Hoffnung für ein neues „Spiel ohne Grenzen“: Vielleicht sollten wir in das geliebte Barockzeitalter und die Aufklärung eintauchen, um transnationale Ideen für die Zukunft Europas zu erhalten. Diesmal führen wir die Demokratie aber unblutig ein, ohne Revolution und über der Nation stehend. Schafft dies Europa nicht, dann werden die nationalstaatlichen Fehler am Ende von Barock und Aufklärung wiederholt.