„In Brüssel ist alles schlecht, lauter Abzocker und da haben ja sowieso nur die Reichen etwas zu sagen“. So oder so ähnlich klingt es, wenn es in meiner Heimatstadt am Stammtisch um die EU geht. Vor allem wenn einer der Urschwabe sich nach seinem dritten Bier wieder einmal über den verfluchten Lobbyismus pikiert. „Was ist denn das für eine Demokratie? Im Endeffekt haben wir doch gar nichts zu sagen, wenn sowieso nur die geldgeilen Lobbyisten die Gesetze bestimmen“. Dieser Vorwurf ist Gang und Gebe in der Bevölkerung und auch zu gewissen Teilen nachvollziehbar.
Schon wieder ist ein Fall aufgetreten, bei dem die Bevölkerung und damit deren gewählten Vertreter anscheinend gar nichts zu sagen hatten. Lobbycontrol nennt diesen Fall schon den größten Lobbyskandal der EU-Geschichte. Wieder einmal soll die Lobby Gesetze entscheidend beeinflusst haben und dieses Mal soll es sogar einem Kommissar den Job gekostet haben. Hinzu kommt, dass es sich hierbei nicht um eine normale Lobby handelt. Es ist die allzu böse und in der Bevölkerung, selbst unter Rauchern, verhasste Tabaklobby. Wenn es eine negative Konnotation mit dem Wort Lobbyismus gibt, dann ist die Tabaklobby wohl die Spitze des Eisbergs, das Schlimmste vom Schlimmsten, das personifizierte Böse. Die Tabaklobby sei rein auf Profit aus und sträubt sich, jeder Menschlichkeit widerstrebend, gegen Reglementierung des hiesigen Tabakmarktes. In einer etwas abgeschwächten Form, aber ähnlich, lassen sich solche Vorwürfe auch bei Spiegel Online oder auf der Internetseite von Lobbycontrol nachlesen. Doch was ist wahr an solchen Vorwürfen und inwieweit ist überhaupt die Tabaklobby ins Spiel zu bringen, bezüglich des Skandals um Ex-Gesundheitskommissar John Dalli?
Der maltesische Politiker spielt gleichzeitig Haupt- und Nebendarsteller in diesem Drama, was die Sache nicht unbedingt vereinfacht. Im Grunde bietet dieser Polit-Krimi alles, was ein gutes Drama braucht. Den Aufstieg des Helden, in diesem Fall John Dalli’s, und natürlich einen rasanten, tiefen Fall. Rücksichtslosigkeit und Habgier sowie Egoismus als Selbstschutz spielen ebenso eine tragende Rolle. Die Darstellung des Konflikts divergiert stark zwischen der Darstellung der Kritikerseite Lobbycontrol sowie verschiedenen Kritikern im Europäischen Parlament und der Darstellung des Kontrollorgans Olaf der Europäischen Union. Lobbycontrol ist im Zuge des erweiterten Lobbyismus als Lobbyismuskritiker im Hinblick auf unrechtsmäßige Interessensbeeinflussung in Brüssel gegründet worden. Nach einem Skandal im Jahre 1999, bei dem ein EU-Abgeordneter monetär beeinflusst worden ist, wurde die eigene Kontrollinstanz der EU Olaf gegründet. Die Behörde soll Korruptionsvorwürfe und Betrugsfälle aufklären. Die Affäre Dallli ist für Olaf mit ihren Ermittlungen abgeschlossen. Der Chef dieses Dienstes, Giovanni Kessler spricht von einem „erfolgreichem Abschluss der Ermittlungen“ und betont, dass „die politischen Schlüsse richtig gezogen worden sind.“ (Kuhrt, Nicola: Interview mit Giovanni Kessler, Feb. 14) Dem hingegen betont Lobbycontrol, dass mit Michel Petite, ein ehemaliger Generalsekretär, der nun den Tabakkonzern Philip Morris juristisch vertritt, eine Person involviert ist, die vorerst keine direkten Konsequenzen durch den Konflikt erleiden musste. Genauso argumentiert Lobbycontrol bei der Politikerin Catherine Day, Generalsekretärin der EU-Kommission, die in die Affäre verwickelt ist und aus deren handeln keine Konsequenzen gezogen wurden. Dalli selbst sagt, dass er unschuldig und der Verbindung von Tabaklobby und EU-Kommission zum Opfer gefallen sei. Im Folgenden soll diese Behauptung überprüft werden. Ist John Dalli der Leidtragende seiner strengen Tabakrichtlinien und dem dadurch entstanden Druck durch die Tabaklobby auf die EU-Kommission? Am Ende soll geprüft werden, inwieweit Konsequenzen aus der Dalli-Gate-Affäre zu ziehen sind, personell, wie auch auf das gesamte EU-Lobbying bezogen. Doch um das Gewirr etwas zu entschärfen, nun die Frage: was war eigentlich passiert?
Der Aufstieg des John Dalli
Im Februar 2010 wurde der maltesische Politiker John Dalli Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz in Brüssel. Der zuvor vor Allem bei der maltesischen Regierung arbeitende Dalli bot zum Anfang seiner Amtszeit aus deutscher Sicht viel Konfliktpotential. Er wollte die Lockerung der Regulierungen für Genkartoffeln in der EU erreichen, was in Deutschland in starke Proteste mündete. Der durch das geplante Freihandelsabkommen mit den USA wieder aufkommende Konflikt hatte damals schon seine Ursprünge. Doch eben dieser Kommissar sollte eine entscheidende Wendung für seinen Fall vollbringen. Im Winter 2011/12 arbeitete Dalli schon seit anderthalb Jahren an einer Tabakrichtlinie für Europa. Diese sollte strenger als je zuvor sein und den Tabakmarkt stark regulieren. Durch diese Regelungen sollte die Nikotin-Industrie, die für die EU finanziell wichtig ist, in seinen Grenzen gehalten werden. Denn immerhin kommen auf die Krankenkassen jedes Jahr immense Kosten durch Krankheiten, ausgelöst durch Zigarettenkonsum, zu. Diese Zahlen als Gesundheitskommissar zu verringern, war für ihn ein Ziel. Konkret arbeitete er an Vorschlägen, die die offene Zurschaustellung der Zigaretten in Geschäften verbieten sollten. Zum Leidwesen des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt sollten Geschmacksstoffe, die den Tabakgeschmack überlagern, verboten werden. Ein Beispiel hierfür ist die Menthol-Zigarette, aber auch Vanillezigaretten, die vor allem unter Jugendlichen auf große Beliebtheit stoßen. Sogar von „Plain Packaging“ war die Rede. Das bedeutet eine Verpackung, die nicht mehr mit der Marke versehen ist, sondern nur noch Warnbilder wie schwarze Lungen darstellt. Der Produktname dürfte dann gar nicht mehr oder nur noch ganz klein auf der Packung zu sehen sein. Diese Regelungen gibt es schon in anderen Ländern wie zum Beispiel Australien. Die geplanten Tabakrichtlinien sind in den Augen Dallis von Nöten gewesen. Jedoch musste er viel Gegenwind ertragen. Nicht nur aus den Kreisen der Tabakmultis, d.h. der größten Tabakkonzerne, sondern auch von hohen EU-Würdenträgern musste er harsche Kritik einstecken. Auf Seiten der Tabakkonzerne ist dieses Verhalten sehr leicht nachzuvollziehen. Durch stärkere Reglementierungen können sie weniger Umsatz erwirtschaften. Im Klartext heißt das, dass dem Tabakmarkt durch solch eine Reform ein herber Schlag verabreicht würde. Auf der Seite der Gegner innerhalb der EU-Verantwortlichen ist die Affäre etwas komplizierter. Hierzu müssen alte Vereinbarungen beachtet werden die für Aufklärung sorgen. Im Jahr 2004 schloss die EU ein Kooperationsabkommen mit vielen Tabakmultis, unter Anderem „Philip Morris International“ und „British American Tobacco“. Durch diese Verträge ist die EU stark mit der Tabaklobby verwoben und folglich auch von Zahlungen aus diesen Kreisen abhängig. Durch Regulierungen würde die Wirtschaftlichkeit der Tabakunternehmen schrumpfen und damit einhergehend die Zahlungen an die EU verringern. Um solche finanziellen Einbußen zu vermeiden, wurde gegen Dalli und seine Tabakproduktrichtlinien Front gemacht. Doch Dalli ließ sich in der Notwendigkeit und auch in der Schärfe dieser Richtlinien nicht beirren und hielt an seinem Kurs fest.
Der Fall
Der schwedische Tabakhersteller „Swedish Match“ spielt in der Affäre eine zentrale Rolle. Das Hauptprodukt, das Swedish Match vertreibt, ist eine Tabakform genannt „Snus“, das mit einem Kautabak vergleichbar ist. Man steckt sich den Tabak unter die Oberlippe und dieser entfaltet sein Aroma über die Schleimhäute im Mund, Nikotin gelangt dann nicht durch die Lunge, sondern durch die Schleimhäute im Mund in die Blutkreislaufbahn. Bis dato war der Verkauf von Snus nur in Schweden als Kulturgut erlaubt. In den restlichen Ländern war Swedish Match der Verkauf von Snus verboten. Um diese Gesetze zu ändern, versuchte Swedish Match den Ex-Gesundheitskommissar Dalli zu beeinflussen. Ihre Lobbyarbeit fand aber nicht wie gewöhnlich in Brüssel statt, sondern sie versuchten auf der lokalen Schiene an John Dalli heranzukommen. Ihr Ziel war die Liberalisierung des Tabakmarktes für Snus, damit ihr Produkt europaweit vertrieben werden kann. Swedish Match kontaktierte persönliche Bekannte von Dalli wie Silvio Zammit, einen Parteigenossen Dalli’s, sowie eine beurlaubte EU-Mitarbeiterin Gayle Kimberley. Kimberley willigte ein, die Interessen des Tabakkonzerns zu vertreten und arrangierte ein Treffen von Swedish Match Manager Gabriellson, Zammit und Dalli. Hierbei soll Dalli das europaweite Verbot von Snus als absurd bezeichnet haben, aber eine Aufhebung würde für ihn das Ende seiner Karriere bedeuten. Bei einem zweiten Treffen, das nie stattfand und nur von Kimberley erfunden war, soll Zammit im Auftrag von Dalli 60 Millionen € Schmiergeld für die Genehmigung des europaweiten Vertriebes von Snus gefordert haben. Dieses erfundene Treffen soll am 13. Februar 2012 stattgefunden haben. In Folge dessen lehnte Swedish Match das Angebot ab und informierte zuerst die schwedische Regierung am 24. Februar. Am 21. Mai ging eine offizielle Beschwerde bei der Kommission ein. Nun kam OLAF ins Spiel. Zuerst wurde Kimberley von OLAF verhört und gestand, dass das zweite Treffen der Parteien nur erfunden wäre. Im Juli wurde Dalli dann von OLAF über die Vorwürfe informiert, bestritt aber jedwede Beteiligung an der Schmiergeldforderung. Zur Aufklärung dieser Vorfälle setzte die Betrugsbehörde fragwürdige Vernehmungsmethoden ein. Zum Beispiel wurde Gayle Kimberley nach ihrer Vernehmung auf Malta vom OLAF-Präsidenten und gleichzeitig Chefermittler Giovanni Kessler zum Essen eingeladen. So etwas würde nicht einmal bei besagten dörflichen Rahmen der schwäbischen Einöde vorkommen, dass der Chefermittler nach dem Verhör mit der Angeklagten einen guten Wein genießt. Hinzu kommt, dass er auch noch für das Essen bezahlt hat. Ob hierbei noch zwischen privatem Gespräch und professionellem Verhör unterschieden werden kann, ist fragwürdig. Die Vorwürfe gingen sogar so weit, dass OLAF bei ihren Vernehmungen die Menschenrechte verletzt haben soll. Die Persönlichkeitsrechte von John Dalli sind durch die Beschlagnahmung seines Computers missachtet worden. Am 15. Oktober sandte die Betrugsbehörde dann den fertigen Untersuchungsbericht an den Kommissionschef Barroso. Giovanni Kessler sagte, es gäbe „eine Anzahl von unzweideutigen Indizienstücken“, die die Schuld Dalli’s belegen. (Kuhrt, Nicola: Interview mit Giovanni Kessler, Feb 14) Barroso zitierte Dalli im Folgenden in sein Büro und zwang ihn mehr oder weniger zu seinem Rücktritt. Dalli war zwar immer noch von seiner Unschuld überzeugt, trat aber aus der Motivation heraus, den Ruf der Kommission zu schützen, zurück. Nach seinem Rücktritt übergab Olaf den Fall an die maltesischen Gerichte, die Zammit und Dalli anklagten. Bis zum heutigen Tag konnte Dalli nichts nachgewiesen werden. In solchen Fällen gilt die Unschuldsvermutung. Von den unzweideutigen Indizien, die Dalli’s Schuld in der Schmiergeldaffäre beweisen sollten, ist nichts zu entdecken. Doch was ist nun mit den Tabakproduktrichtlinien und der Regulierung des Tabakmarktes geschehen? Der neu eingesetzte Gesundheitskommissar Tonio Borg verabschiedete diese Tabakproduktrichtlinien, jedoch mit Zugeständnissen an die Tabaklobby. „Plain Packaging“ war vom Tisch. Die Tabakrichtlinien hatten keinen Beschützer mehr vor dem manipulativen Geld der Tabaklobby. Die Konsequenzen aus dem Fall Tobacco-Gate wurden zunächst nur im Zuge der Personalie Dalli gezogen.
Ein abgekartertes Spiel?
In einem Interview mit Spiegel Online erklärt John Dalli im Februar diesen Jahres: „Das war damals ein abgekartertes Spiel! Barroso hat mich fertig gemacht. Er hatte seine Entscheidung vor dem Meeting gefällt.“(Hecking, Claus: Interview mit John Dalli; Feb 14) Somit war der Rücktritt Dalli’s nicht freiwillig, wie die Europäische Kommission mit Barroso als Präsidenten behauptete. Eine Sprecherin der EU-Kommission schrieb in einem Brief an den Spiegel: „Herr Dalli stimmte mit dem Kommissionspräsidenten überein, dass seine Position politisch untragbar geworden sei.“(Ahrenkild Hansen, Pia: Brief der Sprecherin der EU-Kommission an den Spiegel; Jan.13) Über Olaf sagt Dalli, dass der Bericht über die Affäre voller Lügen, Anschuldigungen und Vorurteilen sei. Er fügt hinzu, dass das Treffen mit Kimberley zwar nur erfunden, aber die Grundlage für alle Anschuldigungen war. Dalli sieht die Widerspiegelung der Macht der Tabaklobby im Verlust seines Amtes. Durch die Schmiergeldforderungen, mit denen er höchstwahrscheinlich nichts zu tun hatte, wurde der Kommission ein Grund geliefert, ihn aus seinem Amt zu entlassen. Vordergründig war es die moralische Verfehlung, die seinem Parteigenossen Zammit und ihm angelastet wird. In Wirklichkeit sieht er durch seine Unschuld aber einen Komplott der Kommission gegen ihn, um die EU-Tabakrichtlinien unbedingt zu verhindern oder zumindest zu entschärfen. Auf die Frage, was für ein Interesse die Kommission gehabt habe, ihn loszuwerden, antwortet Dalli bestimmt: „Der Grund war die Tabak-Richtlinie, kein Zweifel.“(Hecking, Claus: Interview mit John Dalli; Feb 14) Doch inwieweit kann man diesem Mann und seinen Behauptungen trauen? Immerhin war er schon einmal in einen Schmiergeldskandal verwickelt. Als Minister auf Malta 2004. Er wurde aber freigesprochen. Ihm sei die Schuld nur in die Schuhe geschoben worden. Außerdem gibt es laut Lobbycontrol Berichte über eine Reise Dalli’s in das Steuerparadies Bahamas im Sommer 2012, bei der er 100 Millionen Dollar transferiert hat. Ein Urlaub, der während der Ermittlungen von Olaf stattfand. Dalli erklärt sich, dass dies ein Wohlfahrtsprojekt sei, das er schon seit Jahren unterstützt, für Kinder in Afrika. Es ist schon überraschend, dass er zweifach in einen Schmiergeldskandal verwickelt war, ohne eigene Schuld. Entweder Dalli hat ganz schönes Pech im Leben oder hinter manchen Vorwürfen steckt die Wahrheit. Das sind aber nicht die einzigen Ungereimtheiten im Fall Dalli. Lobbyismus gehört in Brüssel zum Alltag und kann auch sehr förderlich sein für die Gesetzgebung und das Expertisenwissen, das hinter solchen Gesetzen stehen sollte. Ein Kommissar ist kein Fachmann in jedem Bereich und somit muss er sich externes Wissen verschaffen. Hierzu dienen in der Kommission verschiedene Konsultationen der Betroffenen. Das heißt, verschiedene Interessen werden gehört. In diesem Fall wurde zum Beispiel die Tabaklobby gehört, aber vor Allem auch Gesundheitslobbyisten. Beim eingesetzten Untersuchungsausschuss auf Grund der Dalli-Affäre kam jedoch heraus, dass die Lobbyisten regelmäßig Zugang bis in die höchsten Kreise der EU-Kommission hatten. Ob es sich hier um eine ausgewogene Anhörung verschiedener Interessen gehandelt hat, ist zu bezweifeln. Das WHO-Rahmenübereinkommen wurde gebrochen. Hierbei spielte Michel Petite eine zentrale Rolle. Der ehemalige oberste Ethikbeauftragte der EU-Kommission war gleichzeitig auch Anwalt der Kanzlei Clifford-Chance, die Philip Morris vertritt. Er hatte zur selben Zeit sein Amt als Ethikbeauftragter sowie als Anwalt ausgeübt und soll die Gesetzgebung entscheidend beeinflusst haben. Der Verdacht ist, dass er sein Amt als EU-Ethikbeauftragter und seine Kontakte genutzt haben soll, um das Interesse des Klienten Philip Morris zu vertreten. Viele Tabaklobbyisten waren regelmäßig bei Barroso zu Gast, um ihre Bedenken über die Vorhaben des Ex-Gesundheitskommissars Dalli vorzutragen. Der Verdacht, dass die Tabaklobby Dalli indirekt abgeschossen hat, wird verstärkt. Diese Kritik kommt nicht nur aus Kreisen des investigativen Journalismus, sondern findet auch immer breiteren Anklang im Europäischen Parlament. Die CDU-Abgeordnete Inge Gräßle ist zum Beispiel entsetzt, dass Petite überhaupt in der Liste von Treffen zwischen Tabakindustrie und EUKommission auftaucht. Im Hinblick auf ein Amt als Ethikbeauftragter ist ein solcher Vorwurf umso skandalöser. Insgesamt ist es auch fragwürdig, ob ein Mann, der für die Kontrolle der EU-Mitarbeiter beim Wechsel von Politik in die Wirtschaft verantwortlich ist, selbst nach der Politik zu einer Kanzlei wechselt, die Philip Morris vertritt. Um ein Beauftragter für Ethikfragen zu sein, braucht man vielleicht eine andere moralische Größe. Hinzu kommt noch, dass Philip Morris mit Swedish Match beim Vertrieb von Snus zusammenarbeitet, was die Interessenslage Petite’s erklären dürfte. Die zweite Person, die entscheidend in den Gesetzgebungsprozess eingeschritten hat, ist Catherine Day. Sie wusste von der Beschwerde über die Schmiergeldaffäre schon zwei Wochen vor der offiziellen Beschwerde. Michel Petite hatte sie darüber informiert. Im Folgenden versuchte sie laut Ingeborg Gräßle, das europaweite Verbot von Snus zu verhindern. Außerdem setzte sie sich für eine leichtere Regulierung des Tabakmarktes ein. Sie zögerte den Gesetzgebungsprozess heraus, um die harten Regulierungen Dalli’s zu verhindern. Ihre Tabakrichtlinienvorschläge hätten laut dem Spiegel auch direkt von der Tabaklobby stammen können. Lobbycontrol kritisiert des Weiteren, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wenn sich eine schwedische Lutschtabakfirma Kontakt über persönliche Bekannte zu einem EU-Kommissar verschafft. Im persönlichen Umfeld von Kommissaren sollte keine Lobbyarbeit betrieben werden. Zwar läuft vieles über Beziehungen in Brüssel und es ist in jeder Branche der Fall, dass Kontakte oft Türen zu neuen Möglichkeiten öffnen, dennoch ist dies in der Politik kritisch zu sehen. Ein demokratischer Völkerverbund muss die Einflussnahme aus dem persönlichen Umfeld der EU-Würdenträger reglementieren. Die Grenze zwischen öffentlich und privat ist schwer zu ziehen, dennoch müssen Regelungen her. Ein Fall wie Dalli’s sollte nicht mehr passieren. Eine versuchte Einflussnahme einer schwedischen Tabakfirma sollte nicht über private Kontakte in Malta geschehen, sondern in geordneten Verhältnissen in Brüssel. Kein Wunder, entwickelt sich eine immer weiter wachsende Distanz zwischen Bevölkerung und der EU, wenn die Geheimpolitik des 19. Jahrhunderts wieder zu Tage tritt. Wie der Skandal überhaupt erst ausgelöst wurde, lässt sich auch auf persönliche Kontakte, die in der Politik geschlossen wurden, zurückführen. Johann Gabrielson, der Drahtzieher der Lobbyarbeit von Swedish Match, war bis 2011 bei der EU-Kommission beschäftigt. Im EU-Komplex lernte er Gayle Kimberley kennen, die sich in ihrem Sabbatjahr dann für die Interessen des Tabakkonzerns einsetzte. Das Verhalten Barrosos ist auch kritisch zu hinterfragen. Hat Barroso auf die Chance gewartet, Dalli zu entlassen? Durch Treffen seiner Mitarbeiter mit der Tabaklobby wurde ihm mit Sicherheit klar, welche Konsequenzen die Tabakrichtlinien für die EU hätten. Barroso wollte außerdem den Ruf der Kommission schützen, dem ein Skandal um Schmiergeld sicher geschadet hätte. Die Entlassung Dalli’s war auch eine Art Selbstschutz. Er ist als Präsident für die Komission verantwortlich. Wenn er aus dieser Affäre nicht die politischen Konsequenzen gezogen hätte, wäre es ihm an den Kragen gegangen. Die Vorwürfe gegen OLAF wiegen mit Sicherheit schwerer. Nicht nur das fragliche Vernehmungsvorgehen ist zu kritisieren, sondern auch der Bericht über die „unzweideutigen Indizien“ die Dalli’s Schuld beweisen. Hinzu kommt noch, dass OLAF den Manager Gabriellson dazu überredet haben soll, vor dem Europäischen Parlament den Fakt, dass das zweite Treffen zwischen Kimberley, Gabriellson und Dalli erfunden war, zu verschweigen. Wer einen Zeugen vor dem Europäischen Parlament dazu nötigt, die Unwahrheit zu sagen, sollte in seine Schranken gewiesen werden. Es gibt kein offizielles Gremium, das die Arbeit von OLAF wirklich kontrollieren würde. Beschwerden über die Arbeitsweise können bei Kessler, dem Präsidenten von OLAF selbst eingereicht werden. Dieser ist aber selbst in den Skandal verwickelt.
Konsequenzen aus der Dalli-Affäre
Außer der Personalie Dalli sind kaum Konsequenzen aus der Affäre gezogen worden. Im Dezember 2013 ist Michel Petite freiwillig von seinem Amt als Ethikbeauftragter der Kommission zurückgetreten und hat somit seine Doppelfunktion beendet. Dies war auf Grund von immensen Druck durch Lobbyismusgegner nötig geworden. Dieser Rücktritt war die richtige Entscheidung. In dieser Doppelfunktion ist Petite meiner Meinung nach moralisch nicht mehr tragbar gewesen. Die Tabakrichtlinien, die laut Herr Dalli extrem verwässert wurden, sind Februar diesen Jahres verabschiedet worden. 65 Prozent einer Zigarettenpackung müssen nun mit Warnbildern oder Aufschriften wie „Rauchen kann tödlich sein“ versehen sein. Außerdem wurden aromatische Zusatzstoffe wie Menthol verboten. Zwar ist es zu keinem Entschluss zu Plain Packaging gekommen, von der krassen Verwässerung gemäß Dalli kann aber keine Rede sein. Es ist trotzdem festzuhalten, dass die Tabakrichtlinie, nach dem Rücktritt Dalli’s, entschärft wurde. Insgesamt kann wohl von einer Einflussnahme der Tabaklobby auf die Gesetzgebung gesprochen werden. Laut der Tagesschau waren in dieser Zeit 150 Lobbyisten von Philip Morris in Brüssel unterwegs. Ob die Tabaklobby Dalli den Job gekostet hat, ist meiner Meinung nach zu verneinen. Zwar ist die Intrige nach intensiver Recherche immer noch sehr undurchsichtig, dennoch denke ich, dass die Tabaklobby nicht für den Skandal verantwortlich ist. Höchstwahrscheinlich kam es ihr sehr gelegen, aber verantwortlich ist Zammit mit der Forderung in Höhe von 60 Millionen Euro. Dennoch müssen weitere Schlussfolgerungen aus der Affäre Dalli gezogen werden. OLAF muss kontrolliert werden. Man darf selbst einem Kontrollorgan nicht freie Hand lassen, was durch diesen Fall klar wurde. Alle Vorwürfe gegenüber OLAF müssen aufgeklärt werden. Die Personalie Giovanni Kessler sollte überdacht werden. Die Regeln, die für die Konsultationen mit der Tabaklobby gelten, müssen eingehalten werden. Hierzu gibt es ein WHO-Rahmenüberinkommen zum Umgang mit der Tabaklobby. Außerdem gibt es genaue Regeln für den Seitenwechsel von Politik zu Wirtschaft. Diese Regeln müssen von der Kommission eingehalten und beachtet werden. Ein negatives Beispiel hierfür ist Petite. Die Kommission muss sich von Geheimtreffen distanzieren und weiterhin versuchen ihre Arbeit transparenter zu verrichten. Es ist kein Wunder wenn in der Bevölkerung bei solchen Skandalen ein negatives Bild der EU entsteht. Der Vorwurf der Geld- und Machtgeilheit würde nur verstärkt werden und der Blick auf den EU-Apparat würde sich weiter verschlechtern. Dann wird man in Zukunft am Stammtisch öfters die ironischen Worte hören: „Dalli Dalli! Sie sind der Meinung das war Spitze“.
Meinungsartikel von Raffael Ruppert, Passau
6. Mai 2014
Der Artikel entstand im Rahmen des Proseminars Interessenvertretung in der Europäischen Union
an der Universität Passau (Wintersemester 2013/14).
Literaturverzeichnis
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- Deutsche Wirtschaftsnachrichten: EU-Skandal: Geheimtreffen von Barroso-Mitarbeitern mit der Tabak-Lobby: deutsche-wirtschafts-nachrichten.de, 17.10.12; Internet: http://deutschewirtschafts-nachrichten.de/2012/12/17/eu-skandal-geheimtreffen-von-barroso-mitarbeiternmit-tabak-lobby/
- DGN-Redakteur: Michel Petite tritt als Leiter der EU-Ethik-Kommission zurück: Deutsche Gesundheitsnachrichten, 24.12.13 Internet: http://www.deutsche-gesundheitsnachrichten.de/2013/12/24/michel-petite-tritt-als-leiter-der-eu-ethik-kommission-zurueck/
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- Katzemich, Nina: Ein Jahr „Dalli-Gate“. EU-Kommission sitzt Lobbyskandal aus: Lobbycontrol.de, 16.10.13; Internet: https://www.lobbycontrol.de/2013/10/ein-jahr-dalligate-eu-kommission-sitzt-lobbyskandal-aus/
- Katzemich, Nina: Endlich: Untersuchungsbericht zu EU-Lobbyskandal durchgesickert. Lobbycontrol.de, 29.4.13; Internet: https://www.lobbycontrol.de/2013/04/endlichuntersuchungsbericht-zu-eu-lobbyskandal-durchgesickert/
- Kuhrt, Nicola: Interview mit Giovanni Kessler: „Wir haben niemals gesagt, dass Dalli selbst Schmiergeld gefordert hat.“ Spiegel.de, 26.02.14; Internet: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/dalli-skandal-giovanni-kessler-im-interview-a-955422.html
- Kuhrt, Nicola/ Hecking Klaus: Skandal um EU-Gesundheitskommissar- Wer hat John Dalli verraten? : Spiegel.de, 26.02.14; Internet: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/tabakrichtlinie-eu-kommissar-dalli-soll-opfereiner-intrige-sein-a-938778.html
- Küstner, Kai: EU setzt auf Schock und Ekel. Tagesschau.de, 26.02.14; Internet: https://www.tagesschau.de/ausland/tabak-eu100.html
- Pauly, Christoph: Aber Dalli!, in: Der Spiegel, 51 (2012) Internet: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-90157573.html
- Pauly, Christoph: Laufbursche der Kommission, in: Der Spiegel, 18 (2013) Internet: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-93419367.html
- Spiegel Online: Europäische Union: Kommissar Dalli tritt wegen Bestechungsaffäre zurück. Spiegel.de 16.10.12; Internet: http://www.spiegel.de/politik/ausland/eugesundheitskommissar-dalli-wegen-betrugsaffaere-zurueckgetreten-a-861661.html
- Staff Reporter, Malta Today: Dalligate, one year on: transparency and lobbying rules still weak. Maltatoday.com.mt, 16.10.2013 Internet: http://www.maltatoday.com.mt/news/dalligate/30722/dalligate-one-year-ontransparency-and-lobbying-rules-still-weak-20131016#.UzLsD4WKk3o
Bildnachweis: John Dalli (Malta), European Commissioner for Health and Consumer Policy. At the Christians in the Holy Land Conference July 2011 – licensed under the Creative Commons Attribution 2.0 Generic license