Mein wein-/seeliger burgundischer Weg #berndscamino

Abwechslungsreich, lecker und ungesund läuft man im Burgund. Wer möchte, kann hier zusätzlich in die spirituelle Welt des Mittelalters, der Renaissance und der Moderne eintauchen. Im Burgund habe ich über die Hälfte meines Jakobsweges seit Berlin geschafft. Irgendwo zwischen Beaune und Taizé war Halbzeit auf meiner langen Strecke nach Santiago. Nun bin ich im ehemals monastischen Zentrum Europas, in Cluny, angekommen. Es liegen also noch 1.799 km vor mir. Meine diesmalige Etappe waren sehr gemischte überraschende 10 Tage, mit abwechslungsreicher Natur, viel Wetterumschlägen und Wechselbädern an Spiritualität. Die Menschen, die ich traf, waren diesmal ganz besondere. Da ich zwei geistige und körperliche Ruhetage in Citeaux und Taizé eingelegt habe, gab es ganz neue Einsichten. 

 

Tag 1: von Is-sur-Tille nach Fontaine-lès-Dijon

Merci, Jeanne Victoire

Es ging da wieder los, wo ich das letzte Mal frühzeitig meinen Weg beendet hatte. Welch ein Kontrast zu meiner Hitzetour von 2022. Meine ersten 30 Kilometer, mal wieder hügelig mit einigen Hochflächen, waren recht unspektakulär, wenn man von einer aus der Zeit gefallenen Touristendampflockbahn im Wald und einer Crossbikeanlage absah. Der Weg ist recht gut ausgeschildert mit den blaugelben Jakobszeichen. Besonders nützlich sind in Frankreich die gelben Kreuze, die vor einer falschen Abzweigung warnen. Erstaunlicherweise führte kaum ein Weg durch die doch sehr alten Dörfer oder an Kirchen vorbei. Die Dörfer machten den Eindruck, dass sie schon bessere Zeiten gesehen haben. Nach einer Waldstrecke ging es auf Dijon zu, das bei Aprilwetter von weitem eher wie Gießen aussah. Eine ausgeschilderte Abzweigung führt auf den Hügel von Fontaine-lès-Dijon, für mich ein durchaus bemerkenswerter Ort. Denn in meiner katholischwestfälischen Heimat war der Name Bernhard früher so geläufig, dass sich die katholischen Verwandten immer freuten, dass ich Bernd hieß. Worauf mir meine Oma immer zum 20. August, meinem Namenstag, 20 DM schenkte (zum Geburtstag bekam ich 50 DM). Bernhard hatte also so für mich vor allem eine fiskalische Bedeutung. Der Zufall wollte es, dass mein Weg über seinen Geburtsort führte. Fontaine hat eine wunderbare Saint Bernard -Kirche und eine historistische (!) Geburtsstätte, die den Bergfried, in dem Bernhard 1090 geboren wurde, nach der Zerstörung in der Französischen Revolution ersetzte. Bernhard muss unglaublich charismatisch gewesen sein. Aber zwischen aus heutiger Sicht fataler Kreuzzugspropaganda und einem innigen Briefwechsel mit Hildegard von Bingen war er vor allem ein Mystiker und einer der bedeutendsten Vertreter der Zisterzienserordens. Die Kirchengemeinde hat mir auf meine Anfrage eine Übernachtung bei den „Petites servantes des pauvres„, ein Orden OCPSP aus Benin im Maison Natale de Saint Bernard. Die Gastfreundschaft der Schwestern war überwältigend. 🙏 Besonders Danke ich les Sœurs Jeanne Victoire und Marine. Sie luden mich ein zu Gebet und Mahl und pilgerstempelten mich unvermeidlich ab. Meine Unterkunft war im historischen Torhaus, das ich ganz für mich alleine hatte.

Tag 2: von Fontaine-lès-Dijon nach Gevrey-Chambertin

Nasskalt regnerisch begann der Tag. Aber Schwester Jeanne Vittoire machte mir ein Frühstück mit viel heißem Kaffee. Sie nahm mich mit zur Saint Bernards Geburtskapelle. Immer Samstags findet dort eine recht traditionelle Messe statt, eingeleitet durch gregorianische Gesänge. Die Priester sangen ergreifend gut. Ich war umgeben von Bernhard-Dankestafeln und neobarocker Pracht, mit vielen royalen ⚜️ Lilien. Katholische Kirche in Frankreich ist immer auch verstörend nationalpatriotisch. Pfarrer Guillaume begrüßte mich freundlich auf Deutsch. Jeanne verabschiedete mich noch herzlich, bevor ich leider ohne vom Reiseführer versprochenem Panoramablick in das nasskalte Burgund hinabstieg. Der fast alpine Weg führte zum Lac Kir, dessen Namensgeber übrigens dem Apéritive Kir Royal Pate stand. Als ich die Vororte Dijon hinter mir hatte, begannen endlich die Weinberge Les Climats de Bourgogne, mal wieder ein UNESCO-Weltkulturerbe auf dem Weg. Erstaunlich: seit Deutschland und Luxemburg die ersten Weinberge. Aber was für welche! 🍷 Ich erreichte Gevrey-Chembertin relativ früh. Sehr gerne nahm ich die Einladung von einer Wegesfreundschaft meiner letzten Tour im Sommer 2022 an, gemeinsam eine Ausstellung in Dijon zu besuchen. Ich hatte Melo und Martin auf der letzten Etappe im Sommer auf dem Campingplatz in Auberive getroffen und viel Spaß gehabt. Das setzten wir in Dijon bei eminer Ausstellung fort. Freund:innen vom Weg! Verrückter Camino. Der Tag begann mit ultrakatholischer Tradition und endete mit künstlerischer Freiheit 🙏 Wanderlust, Hospitalité, Freunde am Weg

Tag 3:  von Gevrey-Chambertin nach Abbaye de Cîteaux

Gevrey-Chambertin ist ein ziemlich gut betuchter Weinort, die Kirche Saint Aignan war mäßig gut besucht. Es passte mein Ort und timing. Gleich danach ging es los Richtung Kloster Cîteaux über viele Weinberge wie 🍷 #chamboollemusigny1ercru 🍷 #closdelambrays 🍷 Clos de Vougeot Grand Cru. Überraschend lief der Weg zeitweise im Tunnel über die stillgelegte Bahnlinie Sentier de Tacot. Die wohl aufwändigste, in der Geschichte kaum genutzte = nutzloseste Bahn Frankreichs. Bei #vougot läuft der Pilgerweg Richtung Cluny parallel zum Weg aus dem Osten nach Vézelay. Ich wollte natürlich nach Süden via Cluny zur Via Podensis. Aber dennoch machte ich mich in umgekehrter Richtung auf dem Pilgerweg nach Cîteaux. Sehenswert war die Kirchenfestung Château de Gilly-lès-Cîteaux. Die Weinberge hinter mir lassend ging es durch flaches Land zur wiederbelebten Abtei von Cîteaux. Allerdings wurde der Pilgerweg unweit vom Dorf Saint Bernard vorbei erstaunlich unübersichtlich, was nicht unbedingt an den rückwärts schwerer erkennbaren Wegschildern lag. Dann endlich kam Cîteaux. Es wirkt auf keiner Weise bombastisch. Zu sehr haben die Zeitläufte diesen für die europäische Geschichte so wichtigen Ort zerstört. So sieht man die 1000-jährige Bedeutung der Anlage nur auf dem zweiten Blick an. Angekommen öffnete keiner an der Pforte.

Ich wurde leicht nervös und so lenkte  ich mich im von Touristen übervölkerten Abteishop ab, dessen Highlight neben all dem Klosterkitsch der leckere Käse Abbaye de Cîteaux war. Wie schade, dass ein Pilger nicht über Wochen diesen Käse nach Hause tragen kann… Ich hätte es wissen müssen: die Zisterzienser (Trappisten)-Mönche waren in der Vesper. Dann kam ein Mönch und hieß mich herzlich willkommen. Er habe sich schon sorgen gemacht, da er mich nicht auf dem Handy erreichen konnte. Er zeigte mir das Pilgerzimmer mit vielen sauberen Betten und ich tauchte in eine andere Welt ein. Es sollte mein erster ganzer Klostertag meines Lebens, mit allem drum und dran werden.  

Tag 4: in Abbaye de Cîteaux

Bernd und Frère Bernard

Mein Namenspatron der Heilige Bernhard war spirituell charismatisch, mystisch und ein mittelalterlicher Hassprediger… Punkt. Ohne ihn wären die blutigen Kreuzzüge nicht möglich gewesen. Natürlich muss alles in seiner Zeit gesehen werden. Und war nicht Bernhard der beste Freund der Hildegard von Bingen, die in den letzten Jahrzehnten quasi als emanzipierte Überfrau des Mittelalters gilt? Und die Qualitäten Bernhards in einem ohnehin unfassbaren Zeitalter sind eindeutig. Ohne ihn wären geistig reformerische Netzwerke nicht möglich gewesen. Auch der Zisterzienserorden wäre nicht ein so unglaublich erfolgreiches geistig-reiches wie wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen geworden. Hier in Cîteaux hat alles begonnen, was wir zum Teil heute noch als Effizienz und Bescheidenheit kennen. Hunderte von Klöstern wurden von hier ausgehend in Europa gegründet. Nach der Auflösung und Zerstörung durch die Französische Revolution wurden die verschonten Gebäude gesichert und peu à peu modern ergänzt, nach meinem Eindruck nicht sehr ausgewogen. Heute leben 30 Trappisten in Cîteaux. Ich beschloss mal eine ganz neue Erfahrung: ein ganzer Tag bei Mönchen, mit dem ganzen Programm der mönchischen Einkehr. Aber anders als die Trappisten musste ich nicht arbeiten. Sie ackerten in den Ställen und in der Käserei. Ich ging spazieren und las. Die Klosteranlage ist nicht sonderlich schön. Zerrissen und weitläufig aber mit Überraschungen. Der Tag war mit Spazieren, schweigendem Essen und Teilnahme an den erstaunlich kurzweiligen Gebeten mit herrlich alten Mönchsgesängen in der modernen Kirche. 

Die Gäste im Hotel waren fast ausnahmslos Französ:innen. Die meisten schienen nicht gläubig. Aber alle haben sich auf die Regeln der Mönche eingelassen. Ich habe noch nie Menschen in so kurzer Zeit schweigend kennen und schätzen gelernt. Frère Bernard machte klassische Musik an und alle kommunizierten mit freundlichen Gesten und Service beim köstlichen Mahl. Enorm beeindruckend. Ich bildete mir nicht nur ein, mit einem Fremdenlegionär, einer Hausfrau, einer Studentin und einem Bauarbeiter schweigend zu reden. Bei Wein, Salat und dem famosen Abbaye de Cîteaux-Käse. Dann kam Вадим in mein gut ausgestattetes aber unbelegtes Pilgerzimmer. Er ist seit vielen Wochen non stop und in Deutschland und Frankreich nutzlosem Kryptogeld vom östlichen Polen aus unterwegs. Er hatte ein Zelt und enormen Hunger. Er vertraute nur auf Gott und war frohen Mutes, gut in Galicien anzukommen. Er stellte sich als tiefgläubiger Student für IT und Geschichte. Sein Eindruck: ausgemergelt Jesus gleich. Den Tag habe ich sehr geregelt mit viel Spazierengehen im Nieselregen im Park verbracht. Leider waren die historischen Gebäude am Montag geschlossen. Dafür  genoss ich Gespräche auf Französisch mit den vielen unterschiedlichen Menschen. Und ich genoss die gregorianischen Gesänge der Mönche in der modernen Kirche. Am nächsten Tag sollte es nach der Vigil um 4 Uhr losgehen.

Tag 5: von Abbaye de Cîteaux nach Beaune

Ich wollte ja mal in einem Kloster alle Stundengebete er-leben. Mir fehlte in Cîteaux nur noch ein Stundengebet, um mal einen Mönchstag ganz zu erleben. Ausgerechnet die Vigil um 4 Uhr morgens fehlte mir, um anschließend mit meiner Kopflampe in der Nacht in den Morgen aufzubrechen. Die Gesänge und Gebete waren länger und erbaulicher als gedacht 🙏. Und so ging ich guten Mutes durch in die Morgendämmerung. Der Forêt domaniale de Cîteaux war so langweilig geradlinig wie viele deutsche Wälder, die ich durchpilgert habe. Und so lief ich trotz der Uhrzeit schnell hindurch, um anschließend nur einige wenige Dörfer bis Beaune zu sehen. Auch außerhalb des Waldes spürte ich wieder Normalität mitteleuropäischer Landschaften. Aber schon in Vignoles kam die Weinregion wieder zum Tragen. Das Geld ist nun definitiv wieder in den Dörfern. Beaune war für mich anschließend seltsam zweigeteilt. Zum einen doch rückständig (so gar nicht Dijon), zum anderen ausgerichtet auf reichen Weintourismus. Das eindeutige highlight ist aber das Hôtel de Dieu. Beeindruckende Ausstellung eines der besterhaltenen Hospitäler der Renaissance, das erst vor wenigen Dekaden in seiner Funktion an den Stadtrand verlegt wurde. Gesundheitsgeschichte und Kunstgeschichte vom feinsten. Übernachtung erhielt ich bei der Pfarrei der Innenstadt. Der Curé Père Front vermittelte mich an Frère Jacques, in dessen Haus ich im Parterre mein Lager aufschlagen konnte. Ich musste ein wenig improvisieren, hinterließ in einem freundlichen Restaurant meinen Rucksack und besuchte das Hôtel und die recht gut erhaltene Altstadt. Aber auch in Beaune gab es wieder den burgundischen Kontrast : nur im Aldi konnte ich Zutaten für einen Salat erwerben. Ansonsten gab es im Zentrum nur Delikatessen: Käse, Brot und Wein. Ich musste noch in der Nähe von der sehr alten sehenswerten Kirche Saint Nicolas auf meinen Gastgeber warten. Der alte Priester war sehr freundlich und kommunikativ und überließ mir einen Veranstaltungsraum mit Gartenanschluss. Am nächsten Tag sollte es endlich richtig in die Weinberge gehen. Des Wetter wurde besser. Die Sonne wird mich endlich wieder begleiten.

Tag 6: von Beaune nach Fontaines

Père Jacques auf meinem Jakobsweg.

Gut habe ich in der Rue Dominicaines geschlafen. Père Jacques sah ich nicht mehr. Also machte ich nur noch sauber und packte den Schlüssel in den Briefkasten. Alles easy. Dann ging es bei bestem Sonnenschein ein letztes Mal durch die Altstadt von Beaune. Ich war versucht, noch in den vielen kleinen Läden leckeres wie Unnützes zu kaufen. Aber welcher Pilger soll das tragen? Ich war wieder auf dem #chemindesallemands, der mich seit Schengen begleitet.

Nun folgte das ganze Programm des besten französischen Weines, oder besser seiner Weinstöcke, natürlich meist Grand Cru. Ich traf viele Weinbauern, eine Weinbäuerin. Sie bedienten seltsame Geräte, aber auch zwei Pferde mit einem echten Pferdepflug. Und es gab etliche rumänische Landarbeiter:innen… Es wurde der erste Sonnenpilgertag seit 2022. Sonnencreme und Wasser wurde immer wichtiger. Wasser konnte ich aber nur in einem der vielen Edelrestaurants und Delikatessenläden kaufen. Und in Meursault schlug ich dann zu 🥖 🍷🧀 incl. (quasi als Alibi der Gesundheit) zwei Tomäteken 🍅 🍅. Eine Stunde später und kurz vor Puligny-Montrachet hatte ich beim persönlichen Picknick entsprechend burgundisch-kulinarische Glücksgefühle. Anschließend war es fast ein Kulturschock, dass es keine Weinberge und exquisite Verköstigungen mehr gab. Edler wurde es aber im sehenswerten Rully. Der Feinkostbäcker versorgte mich mit schnödem Wasser. Ich wollte nach Fontaines.

Tolle Jakobswegfans in Fontaines. Merci, Laurance & Co

Dort sollte eine Pilgerherberge sein. Angekommen war überwältigt von der Gastfreundschaft der „Pèlerins de Compostelle 71“ Ein einmalig liebevoll ausgestattetes Nebengebäude der Kirche Saint Just kann 8 Pilger:innen aufnehmen. Alles da: Essen, Badezeug, gemachte (!) Betten. Geschmackvoll und mit kleiner Bibliothek und allerhand Compostela Andenken und Infos. Présidente Laurance schaute mit zwei weiteren begeisterten örtlichen Compostelafans vorbei, um mich zu begrüßen. Da sie froh waren, dass ich Französisch konnte, quetschten sie mich aus. Ich hatte nur zwei ähnliche Initiativen seit Berlin erlebt – vor allem am Braunschweiger Weg. Ich blieb nicht allein im alten Gebäude.

Wadim, Bernd und noch ein Typ

Wadim war noch hinter mir seit Cîteaux. Er zeltete normalerweise, war aber schon zuvor über meine Tipps froh, dass man auch solche Gastfreundschaft am Wege finden könnte. Und so lotste ich ihn nach Fontaines. Um Mitternacht stand er dann vor der Tür. Ich habe ihm eine Pasta gemacht und wir sprachen wie alte Freunde. Seine persönliche Geschichte war sehr bewegend. Mitten im Burgund holte mich schon wieder der Krieg im Osten Europas ein. Ich sollte noch über meine diesjährige Tour hinaus mit Wadim in Kontakt bleiben. Denn ich gab ihm einen überzähligen Pilgerpass und in der Unterkunft gab es Muscheln für den Rucksack. Nach unserer Begegnung wurde Wadim auch äußerlich ein Pilger. Innerlich hatte er mich schon längst überholt. Viel Glück, Wadim!

 

Tag 7: von Fontaines nach Chenôves

Der Tag sollte es in sich haben. Nicht so sehr wegen der 34 km, sondern der Höhenunterschiede, denn das Mittelgebirge schlug zu. Aber zunächst verabschiedete ich mich von Wadim, der tatsächlich noch kam und die Gastfreundschaft von Fontaines genoss. Er erzählte mir seine Geschichte, geboren in Prenzlau als Sohn eines sowjetischen russischen Soldaten und einer Ukrainerin. Wadim hat nur Kryptogeld, das er nicht nutzen kann, ansonsten ein echter Pilger mit unglaublichem Gottvertrauen. Ich gab ihm Tipps und meinen übrigen Pilgerpass. Er nahm sich auch eine Jakobsmuschel der Herberge, um als Pilger erkannt zu werden. Viel Glück, Wadim. Es ging früher los für mich. Die Höhe nahm zu. Die Weinberge nahmen ab. In Fontaines sagte mir jemand, dass der Bierkonsum ohnehin für Jüngere wichtiger geworden sei. Auch schlüge der Klimawandel zu. In höheren Lagen fehle zunehmend das Wasser. Auf den Höhenlagen in diesem Teil des Burgund sieht es aus wie eine Mischung aus Hochsauerland und englischer Parklandschaft, incl. Pferde und Kühe. Die Dörfer sind längst nicht mehr unverschämt reich.Entsprechend gab es auf der ganzen Strecke keinen Delikatessenläden mehr, aber auch keine geöffneten Lebensmittelläden. Es wurde wieder sonniger und wärmer. Und so war ich froh, dass ich immerhin einen Trinkbrunnen fand. Die Berge hier sind sicher noch harmlos gegenüber dem Zentralmassiv hinter Cluny. Aber es hätte wirklich nicht auf den Chaume de Givry gehen müssen. Immerhin waren die Ausblicke auf das weite Tal der Saône teilweise spektakulär. Vor allem genoss ich die Abendsonne auf Chenôves, das Ziel meiner Tour. Eigentlich gibt es hier eine weiter Pilgerherberge, aber die Betreuerin ist leider außer Landes. Mehr als Ersatz boten Marie und Yves mit ihrem Airbnb. Stilvoll restauriert war das Haus, das bis auf das 12. Jahrhundert zurück geht, mit seinen Gastgebern sicherlich meine letzte große Erfahrung mit burgundischem Wein. Für wenig Geld kochen Marie und Yves zudem köstliche burgundische Gerichte. Und ich bekam Wein aus dem Dorf, vom wohl ältesten Weingut Burgunds, dem Clos de Chenôves.

Tag 8: von Chenôves nach Ameugny/Taizé

Airbnb at its best!

Es war ein wunderbarer Abend in Chenôves. Yves, selbst aus der Normandie zugezogen, erklärte mir die Geschichte des Dorfes und seiner komplexen Arbeitsteilung beim Weinbau. Highlight war natürlich Scott, eine Bracke zu Besuch. Rar machte sich hingegen der Mont Blanc, den man von hier manchmal sehen kann. Ich brach nach einem guten Kaffee auf und genoss einen unaufgeregten frischen Morgen. Der Weg führte wieder auf viele mittlere Berge, wenn auch nicht ganz so steil wie zuvor. Es sollte ein ziemliches Aprilwetter werden. Zeitweise mit stärkerem Regen. Ich ging über Saules zurück auf den Chemin des Allemands. Highlight war Saint Gengoux le National, ein unaufgeregtes mittelalterliches Städtchen, mit einer einladenden Kirche und viele

In Saint Gengoux le National

n ursprünglichen Geschäften, wo ich mich mit Leckereien eindeckte. Der eigentümliche Namenszusatz le National kommt übrigens von der Revolution. Zuvor hieß es Saint Genoux le Royal…  Hinter dem Ort traf ich am Wege Corneel aus Tervuren bei Brüssel. Er ist mit seinem Cousin auf dem Weg nach Assisi. Sie machen den Chemin d’Assise, der hier parallel zu meinem Weg von Paris nach Assisi verläuft. Er wusste schon von mir, denn wir haben für den Abend die gleiche Herberge in Ameugny kurz vor Taizé. Nach einem ersten sehr angenehmen Small Talk ging ich schon einmal voran und verspeiste Tarte und Käse allein auf einer Anhöhe. Um nach Ameugny zu gelangen, musste ich die TGV Linie überqueren, den mit „T“ ausgezeichneten Weg einschlagen. Es regnete sehr, als ich die Anhöhe des Dorfes erklimmen wollte. Ich fand Stéphanies Haus recht schnell.

Karel und Corneel auf dem Weg nach Assisi

Karel (Corneels Cousin) wartete schon. Ich bekam mein eigenes Zimmer. Als auch Corneel ankam, sprachen wir auf Deutsch intensiv und wortwörtlich über Gott und die Welt. Es tat gut, mit den Atheisten Karel Klartext reden zu hören. Er lebt bei Rom und war belgischer Soldat bei Paderborn und wurde nach seiner Entlassung Zahnassistent bei Dr. Montag am Marienplatz. Ich lief ihm bestimmt mal als Schüler über den Weg. Stéphanie kochte köstlich für uns und es ging auf Französisch weiter. Nach dem Essen 🍷🧀🥖liefen wir beide nach Taizé. Sie führte mich ein in die bemerkenswerte Geschichte des Ortes. Sie macht wunderbare Musik und ist Musiklehrerin. Sie hat Familie, ist aber Teil einer franziskanischen Gemeinschaft. Ich war Stéphanie unheimlich dankbar, dass sie mich von Anfang an in die sehr spezielle Welt von Taizé einführte. Zum Abendgebet traf ich mit ihr auf hunderte von überwiegend jungen Menschen, die sich in der Versöhnungskirche voller Andacht und Glauben versammelten… Ein besonderer Tag in Taizé erwartete mich… 🙏

Tag 9: in Ameugny/Taizé 

Erstaunlicher Text. In Taizé ist bei der Eucharistie möglich, was der Vatikan sonst verbietet. Geht doch.
In der Versöhnungskirche

Noch einmal wollte ich es genau wissen! Nach der Abbaye de Cîteaux habe ich einen weiteren Tag mit spirituellen Erlebnissen auf meiner Reise eingeplant. Freilich war die Communauté de Taizé auf den ersten Blick eine ganz andere Welt. Der Ort ist vielen jungen Menschen bekannt als DER Ort der internationalen und überkonfessionellen Gemeinschaft. Ich hatte mit Stéphanie großes Glück. Sie erklärte mir die Geschichte und die Abläufe von Taizé. Sie hatte viele Einblicke, sogar die Ermordung des charismatischen Gründers Frère Roger hatte sie erleben müssen. In vielen christlichen Gemeinden gab es schon einmal Jugendliche, die hier einige Tage an diesem bemerkenswerten Ort verbracht haben. Die Ursprünge gehen auf die Unterstützung junger Christen für jüdische und politische Geflüchteten im Zweiten Weltkrieg zurück. Sie waren in der Grenzregion vom von Nazideutschland besetzten Frankreich und Vichyfrankreich aktiv und gründeten eine christliche Gemeinschaft, die von reformierten Christen geprägt von Anfang an ökumenisch orientiert war.

Das eigentliche Wunder von Taizé setzt sich bis heute fort. Es ist wohl der einzige Ort auf der Welt, wo die katholische Kirche alle Augen zudrückt, selbst wenn es um eine gemeinsame Eucharistie mit anderen Christ:innen geht.

Die recht seltsam gestaltete Versöhnungskirche erinnert eher an eine Mischung von Sporthalle und Messegelände. Aber das tut der Spiritualität keinen Abbruch. Es ist ergreifend den Brüdern und Jugendlichen bei den Taizégesängen und -gebeten zuzuhören. Man macht unwillkürlich mit und versinkt in Spiritualität. Verglichen mit Cîteaux war es vor allem die pure Masse an jungen Menschen, die den Gottesdienst besonders machte. Am beeindruckendsten war die Internationalität. Gesänge und Gebete auf 7 Sprachen wechselten sich ab, ohne dass es relevant für irgendjemand erschien. Ich nahm an den meisten Ereignissen teil und sprach auch mit einigen Jugendlichen, die als freiwillige vor Ort helfen. Immerhin kommen im Jahr 100.000 Menschen nach Taizé.

Mein Ruhetag in Taizé war aber auch ein Regentag. Und so beschloss ich, das naheglegene Chateau de Cormatin zu besuchen. Ein Schloss, das Räume des 17. Jahrhundert gut konserviert hat. Auch traf Mitterand Gorbatschow dort. Der heutige Schlossbesitzer selbst gab eine innovative Führung und kümmerte sich rührend um die Kinder und „den Deutschen“. Das elitäre akademische Frankreich ist immer befremdend deutschfreundlich… Abends bekochte mich Stéphanie schon wieder und wir gingen zusammen zum Abendgebet im Lichtermeer. 

Tag 10: von Ameugny/Taizé nach Cluny

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1.903 km seit Berlin geschafft🙏. Meine Halbzeit bis Santiago war also irgendwo zwischen Beaune und Taizé. In Cluny angekommen liegen noch 1,799 km vor mir. Es waren sehr gemischte tolle 10 Tage, mit viel Spiritualität ganz unterschiedlicher Prägung. Auch Landschaft und Wetter wechselten sehr. Ich verabschiedete mich herzlich von Stéphanie, genoss die wenige Sonne des Tages und nahm noch einmal an einer Messe in der Église de la Réconciliation teil. Ich ließ mich wieder mitreißen von den Gesängen und Gebeten. Auch Nichtgläubigen dürfte es schwer fallen, sich hier nicht beeindrucken zu lassen. Viele Menschen aus der Region berichteten mir von der Anziehungskraft des Ortes. Anschließend sah ich noch die Dorfkirche, wo alles 1942 im Krieg anfing. Das Grab von Frère Rogier war natürlich einfach. Der anschließende Weg war nicht spektakulär aber abwechslungsreich. Ich erreichte bald wieder den Jakobsweg. Dann irgendwann sah ich das Ziel meiner Etappe dieses Jahres: Cluny angekommen, musste ich bei Platzregen sofort in den Palais de l’abbé Jean de Bourbon flüchten, wo ich gleich das Modell der riesigen Abtei aus dem 11. Jahrhundert bestaunen konnte. Die masslose Maior Ecclesia war mal die größte Kirche der Christenheit und ist auch als Ruine noch beeindruckend. Vor allem aber war die maßgeblich aus Spanien finanzierte Abtei der Ausgangspunkt der Cluniazensischen Reform, mit starker Hinwendung zur strengen benediktinischen Ordens Regel.

Odile – sicher komme ich wieder, wenn ich in Cluny starte.

Obwohl Cluny schon seit 1000 Jahren Ausgangspunkt/Zentrum für Pilger:innen nach Santiago ist, bekam ich nur schwer eine adäquate Unterkunft. Viele Absagen von gelisteten Adressen. Immerhin fand ich via Airbnb Odile. Sie hat genau die Gastfreundschaft gezeigt, die ich von Pilgerunterkünften kannte. Wir haben beim Frühstück viel über das Leben in Cluny gesprochen. Ein Städtchen, dass sich seiner europaweiten Bedeutung in der Geschichte bewusst ist, aber dennoch auf dem Boden blieb. Am Morgen nach meiner Ankunft besuchte ich das grandios aufbereitete Abteimuseum. Glücklicherweise habe ich drei Stunden eingerechnet. 

Epilog

Das Deutz von Mâcon
Mon Michelin En Ville…

Cluny ist relativ schlecht angebunden. Einen Bahnhof gibt es schon lange nicht mehr. Ein Bus fährt nur selten nach Mâcon, wo man aber den TGV erreichen kann. In Mâcon verbrachte ich eine Nacht, um leichter mit dem Zug nach Berlin zurück zu kommen. Montags ist Frankreich leider toter als ein Sonntag in Deutschland. So verpasste ich mein geplantes Delikatessen- und Weinshopping. Allerdings gab es ein Highlight. Ich gönnte mir das erste Mal im Leben ganz allein einen Abend in einem Michelin-Restaurant: Ma Table en Ville.

Es ist nicht klar, wann ich meinen Weg fortsetzen kann, diesmal hoffentlich bis Le Puy-en-Velay in der Auvergne . Aber Cluny ich als erstes wiedersehen 🙏👣

One thought on “Mein wein-/seeliger burgundischer Weg #berndscamino

  1. Ich freue mich auf die Fortsetzung deiner Pilgerabenteuer.
    Das Einstellen der Landkarten mit deinem Weg ist herrlich und macht Lust auf‘s Pilgern.

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